Die Architektur der Gotik und ihre besondere Geschichte in Frankreich - als die Kathedralen in den Himmel wuchsen

Via Podiensis

Begriff und zeitliche Einordnung

Die Bezeichnung „Gotik“ entstand, wie die Namen anderer Stilepochen auch, nicht bereits mit ihrem ersten Auftreten, sondern erst fast 300 Jahre später. Auch wurde der Gotik-Begriff nicht etwa in Frankreich geprägt, wo die Wurzeln der gotischen Architektur liegen, sondern erstmals 1435 in einem Werk des italienischen Architekten und Schriftstellers Leon Battista Alberti erwähnt. Das Wort Gotik stammt vom italienischem „gotico“, das ursprünglich ein Schimpfwort war. Es bedeutet „fremdartig“ oder „barbarisch“ und ist vom Germanenstamm der Goten abgeleitet. Giorgio Vasri, ein Kunsttheoretiker der Renaissance, der Wiedergeburt der Antike, versuchte mit diesem Wort seine Geringschätzung der europäischen mittelalterlichen Kultur im Vergleich zur „glorreichen“ Antike Ausdruck zu verleihen.
Erst mit Goethe, der in seinem Werk „Von deutscher Baukunst“ über das gotische Münster in Straßburg schrieb, begann ein positiver Bedeutungswandel in Bezug auf den gotischen Architekturstil einzusetzen. Allerdings ist zu bemerken, dass Goethe irrtümlich diese Epoche zu einem deutschen Stil erklärte. Der Stil wurde dann im 19. Jahrhundert von europäischen nationalistischen und romantischen Bewegungen aufgewertet und verherrlicht. So wurde auch Mitte des 19. Jahrhundert Goethes Aussage eines „deutschen Stils“ durch kulturwissenschaftliche Forschungen widerlegt und der korrekte Ursprung der Gotik Frankreich zugesprochen. Heute gilt die Gotik allgemein als einer der künstlerisch brillantesten Momente der westlichen Welt.

Eine zeitliche Einordnung der Gotik ist nicht ganz einfach, da der genau Zeitrahmen von den individuellen Entwicklungen in den einzelnen Ländern abhängt.

Die Gotik entstand um 1140 zunächst in Frankreich. Der neue Baustil gelangten vor allem von den Baustellen in Reims und Amiens (Ostteile) ab 1180 zuerst nach England (Canterbury, Wells, Salisbury, Lincoln, Westminster Abbey, Lichtfield), dann ab etwa 1235 nach Deutschland (Marburg, Trier, ab 1275 nach Köln, Straßburg, Regensburg) und Spanien (Burgos, Toledo, Léon). In Italien wurde der gotische Baustil nach französischer oder mitteleuropäischer Art weder vollständig übernommen noch war er je alleine vorherrschend.

Aber natürlich gab es auch hier gotische Kathedralen wie z.B. den berühmten Mailänder Dom.

CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=123840 Kathedrale (ehem. Abtei­kirche) Saint-Denis, vor 1140 (im 18. und 19. Jh. ver­ändert, Turmvertlust)

Historischer und philosophischer Hintergrund

Keine andere Strömung vor oder nach der Gotik verstand es, einen solch engen Zusammenhang zwischen Architektur und Gesellschaft herzustellen. Um nun aber zu verstehen, weshalb sich die gotische Architektur gerade im Frankreich des 12. Jahrhunderts aus der Romanik entwickelte, muss man zunächst einen Blick auf die gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten jener Zeit werfen.

Im Jahre 1108 übernahm der Kapetinger Ludwig VI. die königliche Herrschaft im territorial stark zersplitterten Land. Der französische Monarch hatte zu jener Zeit zwar großes Prestige, realiter jedoch nur wenig Macht. Diese lag u.a. in den Händen Heinrichs I., der durch geschickte Heiratspolitik nicht nur Herzog der Normandie, sondern gleichzeitig auch König von England war und so enorme politische, wirtschaftliche und militärische Mittel hinter sich vereinigen konnte. Auch die Grafen der Champagne waren, durch wichtige Messestädte in ihren Gebieten, reicher und dadurch letztlich mächtiger als der französische König. Wesentlich einflussreicher war auch der Graf von Flandern, der das größte Wirtschaftszentrum nördlich der Alpen, ein im 12. Jh. sehr reiches Land regierte. (s. auch Kapitel der 100-jährige Krieg).

Um seine Macht zu stärken und die des Feudaladel im Land zu schwächen, paktierte Ludwig VI. mit der Kirche, vor allem mit seinem engen Berater Suger, dem Abt von Saint-Denis, der zusammen mit ihm in der Klosterschule von St. Denis erzogen worden war. Die Kirche unterstützte das Machtstreben der französischen Monarchie. Der König förderte zudem die zunehmenden Ordensgründungen und holte die Bruderschaften zu sich in die Hauptstadt.

Außerdem wurden durch Freiheitsbriefe, die sich der König von der jeweiligen Stadt beziehungsweise Gemeinde teuer bezahlen ließ, Feudalpflichten aufgehoben, die die wirtschaftliche Entwicklung stark eingeschränkt hatten. So standen diese Städte und einzelne Landgemeinden hinter dem König und gegen den sie früher ausbeutenden Feudaladel.

Mit dem Erstarken und der geographischen Ausweitung des französischen Kronlandes, also der Entwicklung zur zentralistischen Macht, breitete sich auch die für ‚das Neue’ stehende Architektur, die Gotik, aus. Gotische Sakralgebäude galten bald als ‚chic’, so dass jedes Land, jede Stadt und jede noch so kleine Gemeinde alle vorhandenen Mittel darauf verwendete, wenigstens eine etwas größere und neuere Kirche als die des Nachbarn zu bauen. Außerdem spielte auch die Parteinahme von Bündnispartnern in der Politik eine nicht unerhebliche Rolle bei der Expansion der Gotik. Wer innerhalb Frankreichs gotisch baute, bezeugte seine Gewogenheit gegenüber der französischen Krone. Die Baubewegung in Frankreich wurde vor allem in der Anfangszeit dadurch gefördert, dass das Volk und auch der Adel die Bautätigkeit mit finanziellen Mittel oder auch praktischer Arbeitstätigkeit unterstützten. So ist u.a. die große Zahl an Kirchen, Abteikirchen und Kathedralen in Frankreich zu erklären.

Gleichzeitig verbindet sich mit der Gotik eine ganz neue Einstellung zur Gestaltung des Lebens. Der Grund für eine solche Revolution ist die Veränderung der mittelalterlichen Mentalität über vorhandenes Wissen und vorhandene Wahrheit. Im 12. und 13. Jahrhundert wird Platons vom Heiligen Augustinus verteidigter Idealismus überwunden, der die philosophische Grundlage des frühen Mittelalters bildete. Die Philosophie des Aristoteles, die auf der Vorrangstellung der Sinne basierte, erlangte wieder eine große Bedeutung und  wurde von Persönlichkeiten wie dem Heiligen Albert dem Großen und dem Heiligen Thomas von Aquin energisch verteidigt. Dieser Mentalitätswechsel führt in der Architektur dazu, dass sich der Baumeister (Architekt) beim Bauen nicht mehr an regelmäßige Formen halten (im Wesentlichen Kreise und Quadrate) muss, sondern dass er frei arbeiten kann, nicht mehr nur als Geometer, sondern als Ingenieur. Das bedeutete auch, dass man sich an neue Gestaltungselemente heranwagte und herantastete. Dieser technische Empirismus verhalf dazu, geniale tektonische Lösungen zu erfinden, um Räume von großer Höhe und Farbe zu schaffen. Die Art und Weise, das himmlische Jerusalem im 13. Jahrhundert zu symbolisieren, bestand darin, einen großen Raum aus Licht und Farbe zu schaffen. Die Strahlen der Sonne, das Licht Gottes, sollten die ganze Kirche erfassen und das Bauwerk zur gebauten Metaphysik verwandeln. 

Außerdem war es eine Zeit relativen Friedens, guter Ernten, steigenden Wohlstands und Bevölkerungswachstums. Am Anfang der Epoche setzte eine Phase der generellen Umstrukturierung im Wirtschaftsleben des Landes ein. Die Wirtschaft entwickelte sich in bestimmten Regionen und in den Städten positiv. Der Handelsschwerpunkt verlagerte sich vom Land in die Stadt. Die Landbevölkerung strömte in die Städte (Landflucht). Durch das Wachstum der Städte entstand auch Bedarf an neuen Kirchenbauten und es sind auch die Städte, die die wirtschaftliche Kraft besitzen, um die aufwendigen Bauten der Gotik finanzieren und realisieren zu können. So entstanden sogenannte „Bauten der Macht“ in der Mitte der Stadt.

Es war auch die Zeit der Kreuzzüge. Die Kreuzzüge dienten neben der Eroberung der Stadt Jerusalem vor allem auch der Verbreitung und der Verteidigung des christlichen Glaubens – der Einflussbereich der Muslime sollte zurückgedrängt werden. Es ging dem Papst aber auch um eine erneute macht-politische Stärkung der Kirche und des Papsttums. Die Erstarkung der Kirche zeigte sich auch in der zunehmenden Bedeutung der Ordensgemeinschaften neben den Benediktinern hier vor allem den Zisterziensern, deren Verbreitung für die Gotik eine besondere Bedeutung hat. 

So versuchten der König, der monarchisch orientierte Adel, Domkapitel, Bischöfe und Städte sich in dieser Konkurrenzsituation mit immer prächtigeren Bauten gegenseitig zu übertrumpfen – als Demonstration ihres Führungsanspruchs, aber auch aus echter frommer Begeisterung.

Die Gotik wurde in diesem Zusammenhang in Europa als willkommene Neuerung empfunden. Die neuen Techniken wurden voll Begeisterung übernommen, da durch sie auch die neue spirituelle Einstellung dargestellt werden konnte. England, Deutschland, Italien, Spanien und die anderen europäischen Länder wollten auch demonstrieren, dass sie die neue Kunst wenigstens so gut wie das Ursprungsland Frankreich beherrschten. Zudem verhalf die wachsende Bedeutung des Zisterzienserordens und seine strenge Durchstrukturierung einer weiteren Verbreitung der Gotik. All diese Fakten führten so zu einer breiten aber auch relativ einheitlichen Ausbreitung der Architekturkunst der Gotik.

Die Kathedrale des Mittelalters, das Gesamtkunstwerk aus Architektur, Skulptur, Malerei und Glasmalerei gilt als besonderes Wahrzeichen der Gotik.  “Genie de Lieu “sagen die Franzosen, wenn ein Ort etwas ganz Eigenes und Besonderes atmet. Das kann wohl für die gotischen Kathedralen im Besonderen gelten. Sie spiegeln die Wandlung des mittelalterlichen Weltbildes wider, das mit einer neuen Frömmigkeit und mystischen Strömung einhergeht.

Einen großen Aufschwung nahm auch die profane Baukunst zur Zeit der Gotik, v. a. in den Städten, wo sie die wachsende Macht des aufstrebenden Bürgertums verkörperte. Sie übernahm Formen und Motive der französischen Kathedralgotik. So entstanden Burgen und Befestigungsanlagen, Rathäuser, Zunfthäuser, Hospitäler und Bürgerhäuser im gotischen Stil.

Von Uoaei1 - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=45346485 Notre Dame de Paris 2015

Spezielle Situation in Frankreich

Die zahlreichen Konflikte zwischen den theologischen Lehrmeinungen erhielten in Frankreich im 12. Jh. durch die Initiativen zweier sehr gegensätzlicher Äbte – den Zisterzienser Bernhard von Clairvaux und den Benediktiner Suger von Saint Denis – eine eminent politische Dimension: Als radikaler, nüchterner Reformer löste Bernhard anfallende Konflikte (Mauren, Türken) vornehmlich mit Waffengewalt. Ihm gelang es nicht nur, König Ludwig VII. zur Teilnahme am zweiten Kreuzzug zu bewegen, sondern auch, die Eroberungsfeldzüge vom Papst sanktionieren zu lassen. Abt Suger hingegen stand im Dienst der Könige von Frankreich und konzentrierte sein Interesse v. a. auf die Neuerungen der Kunst.

Er war gemeinsam mit Ludwig VI. in St-Denis erzogen worden. Abt Sugers ganzes Streben galt der Stärkung der Macht des französischen Königs. Vom Bauernsohn war Suger zum Abt des wichtigsten französischen Klosters in St. Denis und zum engsten Berater zunächst Ludwigs VI. und dann Ludwigs VII. aufgestiegen. Als letzterer 1147 zum Kreuzzug aufbrach, ernannte er Suger zum Regenten Frankreichs. Um die neu erstarkte französische Königsmacht zu demonstrieren, griff er zu einem überaus publikumswirksamen Mittel, das symbolisch-imperialen Wert besaß: er veranlasste den teilweisen Neubau der Klosterkirche von Saint-Denis. Der Bau des gotischen Chors von St. Denis dauerte gerade einmal vier Jahren (1140–1144) und wird heute als Ausgangspunkt der Gotik gesehen. Diese wichtige Voraussetzung für die Ausdehnung der königlichen Herrschaft – und damit einhergehend der Kathedralarchitektur – war das enge Zusammenspiel zwischen geistlicher und weltlicher Macht in Frankreich. So wurden zwischen 1180 und 1270 in Frankreich rund 80 Kathedralen (städtische Bischofskirchen) gebaut. Dazu kommen noch unzählige Neubauten wie Abtei-, Kollegiats- und Pfarrkirchen. Da die französischen Könige, allen voran Philipp August (1180–1223) und Ludwig IX. (1226–1270), die Vormachtstellung Frankreichs in Europa ausbauten, wurde der Stil der französischen Kathedralgotik, die „französische Bauweise“, stilbildend.

Anders als in Deutschland spielte das langsam wieder erstarkende französische Königtum selbst auch als Auftraggeber großer gotischer Kathedralbauten eine wichtige Rolle. Die Abteikirche von St. Denis bei Paris war die Grablege der französischen Könige; Reims der Ort der Krönung, Chartres das bedeutendste Wallfahrtszentrum des Landes. Im Machtzentrum Paris entstanden mit der Kathedrale Notre-Dame und der Sainte-Chapelle, der königlichen Palastkapelle, gleichfalls herausragende kathedrale Bauten. Und auch die Bischofssitze, in denen Kathedralen errichtet wurden, wie Beauvais oder Laon, standen im direkten Einflussbereich der königlichen Macht.

Dass ihre symbolische Bedeutung der Kathedrale von Reims bis in dieses Jahrhundert reicht, zeigt sich an einem kleinen Beispiel: 1962 nahmen Staatspräsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer in der Kathedrale von Reims gemeinsam an einer Messe teil, um die deutsch-französische Freundschaft zu bekräftigen – eine symbolische Geste, die François Hollande und Angela Merkel 50 Jahre später wiederholten.

Fassade der Kathedrale von Reims Von Johan Bakker, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=38255047
Adenauer und De Gaulle in der Kathedrale von Reims Von Bundesarchiv, B 145 Bild-F013405-0016 / Steiner, Egon / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5451627

Phasen der Gotik in Frankreich

In der Gotik entstand ein neues Raumgefühl, dass jedoch nicht nur nach Höhe, sondern auch nach Licht und sanfter Helligkeit verlangte. Deshalb wurde die kompakte Mauer gleichsam aufgelöst und von hohen Fenstern und riesigen Fens­terrosetten zwischen den Strebepfeilern durchbrochen. Glasmalerei und Steinmetzkunst entwickelten sich zu hoher Blüte. Feingliedrige Strebepfeiler, Ziergiebel (Wimperge), Türmchen (Fialen) und gotisches Dekor wie Maßwerk und Kreuzblumen lassen die Fassaden wie steinernes Spitzenwerk erscheinen. Religiöse Figuren zieren Giebelfelder (Tympana) und Bogenläufe (Archivolten), Gewändefiguren wie Engel und Heilige lösen sich erstmalig aus der Mauer heraus.  

Um einen kurzen Blick auf die Entwicklung der Gotik in Frankreich zu werfen, werden hier die Phasen der Gotik in diesem Land kurz angesprochen.

Gothique primitif       Gothique classique    Gothique rayonnant   Gothique flamoyant

1140-1190                  1190-ca.1230             1231-1350                  1350-1520     

Die erste Phase der Gotik in Frankreich wird als Gothique primitif bezeichnet.

Typisch für den Gothique primitif sind:

  • Emporenbasiliken
  • Runde Arkadensäulen mit korinthischen Kapitellen.
  • spitzbogige Kreuzrippengewölbe, über den Seitenschiffen vierfeldrig, über den Mittelschiffen oft als sechsfeldrige Doppeljoche, gleichsam als Reminiszenz des gebundenes System.

Die zweite Phase der Gotik in Frankreich wird Gothique classique genannt, klassische Gotik. 

  • Über den Seitenschiffen von Basiliken werden keine Emporen mehr angelegt. Zur Regel werden Basiliken mit Triforium in Form zum Mittelschiff geöffneter Zwerggalerien gebaut.
  • Binnenchor, Chorumgang und Kapellen schließen polygonal (vieleckig).
  • Die Vorlagen (Dienste) für Gurt- und Arkadenbögen beginnen an den Basen der Arkadenpfeiler, so dass die Mittelschiffe von durchgehenden Senkrechten geprägt sind.
  • Die Kreuzrippengewölbe sind auch über Mittelschiffen und Binnenchören vierfeldrig.

Als Initialbau der dritten Phase der Gotik in Frankreich, des Gothique rayonnant, der strahlenden Gotik, gilt gemeinhin der Chor der Kathedrale von Amiens, errichtet ab 1236, die entscheidenden befensterten Triforien aber wohl erst ab 1258. Vorher erschien diese Neuerung schon beim hochgotischen Umbau der Abteikirche von Saint-Denis ab 1231, davon der Chor bis 1245.

  • Der Gothique rayonnant zeichnet sich durch Vergrößerung der Fensterflächen aus.
  • Die Triforien bekommen Außenfenster oder werden den Obergaden zugeschlagen.
  • Internationale Bedeutung: Nach dem Muster der Kathedrale von Amiens wurde ab 1248 der Kölner Dom errichtet.

Die vierte Phase der Gotik in Frankreich wird als Gothique flambant – „flammende Gotik“ bezeichnet. Als Initialbau wird die 1388 als Schlosskapelle errichtete Sainte-Chapelle in Riom genannt.

  • Kennzeichen ist die kreative Ausweitung des Formenspektrums.
  • Weniger im allgemeinen Bewusstsein, aber auch typisch, sind um eigentlich rechteckige Fenster und Tore geschlungene Kielbögen
  • Die allgemeinen Erläuterungen zu den Stilelementen der Gotik sind weiter unten aufgeführt.
Kathedrale von Chartres Von Olvr - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=16331210

Die wichtigsten frühgotischen Kathedralen der Île-de-France

Die gotische Baukunst entstand aus dem Baugefüge und den Formen romanischer Kirchen in Frankreich, genauer in der fruchtbaren Île-de-France (Paris und Umgebung). Zur ersten Blüte gelangte die Gotik mit dem frühgotischen Neubau der Abteikirche von Saint-Denis (1130/35–1144), der königlichen Grablege. Trotz des bewusst neuen Konzeptes besaß der Chor der Abteikirche von Saint-Denis anfangs keinen Modellcharakter. Aber man doch sagen, dass in St.-Denis die Gotik ihren Ausgangspunkt hatte. In der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts wurde in Frankreich noch sehr viel experimentiert und variiert, bis man mit der Kathedrale von Chartres eine Lösung fand, die formal so überzeugend war, dass sie zum Vorbild für viele Nachfolgebauten wurde. In dieser experimentellen Phase entstanden in Frankreich zwischen 1140 und 1194 beispielsweise die frühgotischen Kathedralen von Sens und Laon, sowie wichtige Bauteile der Kathedralen von Soissons und Noyon und schlussendlich die Kathedrale Notre-Dame in Paris.

 

  • Paris, Abteikirche von St.Denis, 1137–1144 – der „Gründungsbau“ der gotischen Architektur
  • Sens (Yonne), Kathedrale Saint-Étienne, 1140–1168
  • Laon (Aisne), Kathedrale Notre-Dame, um 1160–1210
  • Noyon (Oise), Kathedrale Notre-Dame, um 1150
  • Soissons (Aisne), Kathedrale Saint-Gervais et Protais, um 1180/90
  • Paris, Notre-Dame, 1163–1182 Chor / bis 1196 Langhaus / Querhaus nach 1225 Vergrößerung der Fenster
Von ~~ - cropped from File:Frankreich 12. Jh (ohne Süd).png, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=126089316

Beispiel für die Hochgotik in Frankreich

Zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstanden die Kathedralen von Chartres, Reims, Amiens (Langhaus) und Bourges, die der Hochgotik in Frankreich zugerechnet werden. Zu den Höhepunkten dieser Phase zählt der vollendete Umbau der Abteikirche von Saint-Denis (Langhaus), die königliche Pfalzkapelle Sainte-Chapelle in Paris, die Kathedrale von Troyes und die königliche Schlosskapelle Saint-Germain-en-Laye. Die tiefe Verankerung der Gotik in Frankreich zeigt sich in ihrem Weiterleben in der Nachgotik, die noch in der Renaissancezeit Bauten wie die Kathedrale von Orléan (ab 1601) oder Saint Eutache (1532–1649) hervorbrachte.

Kathedrale von Chartres                    1145 romanisch/1149 gotisch

Kathedrale von Reims                         1211-1275

Kathedrale von Amiens (Langhaus)   13. Jh. Hochgotik

Kathedrale von Bourges                     1195-1270

Saint-Denis- Umbau                           12./13. Jh.

Sainte Chapelle in Paris                       1244-1248

Kathedrale von Troyes                        ab 1208

Kathedrale von Amiens Von Jean-Pol GRANDMONT - Eigenes Werk, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=20453765
Von Karl Baedeker (Firm) - https://www.flickr.com/photos/internetarchivebookimages/14759510006/Source book page: https://archive.org/stream/northernfranc00karl/northernfranc00karl#page/n86/mode/1up, No restrictions, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=42713654

Regionale Differenzierung

Anders als in der Romanik bildeten sich innerhalb der gotischen Epoche nur geringfügige Unterschiede in den einzelnen Regionen Frankreichs heraus. Dies stand in engem Zusammenhang mit den politischen Einheitsbestrebungen der Kapetinger und dem sich von der Ile-de-France ausbreitenden Kathedralbauschema. Mit den wachsenden Herrschaftsansprüchen des Königshauses wurde auch die einheitliche Umsetzung des im königlichen Stammgebiet herausgebildeten Bauschemas im ganzen Land umgesetzt. Der gotische Sakralbau galt im 13. Jahrhundert als Zeugnis der königlichen Macht. In den nachfolgenden beiden Jahrhunderten erfuhr die Bedeutung dieses nationalen Kirchenbaus insofern eine Veränderung, als er nicht mehr die königliche Herrschaft, sondern das erstarkende Bürgertum den gotischen Kathedralbau für seine Zwecke in Anspruch nahm. Die großen Sakralgebäude wurden zum Wahrzeichen der Stadt, zum Versammlungsraum der Gemeinde, an dem sich der Bürgerstolz der Zünfte im Reichtum der Ausstattung zeigte.

Im beginnenden 13. Jahrhundert entbrannte zwischen den nordfranzösischen Städten ein Wettlauf um die größte Kathedrale. Doch die neue Technik stieß auch an ihre Grenzen. Der Mut aber auch Hochmut zeigten sich an der Mitte des 13. Jh. in Beauvais darin, dass man eine alles überra­genden Kirche schaffen wollte. 1204 hatte König Philipp II. die Normandie erobert. Die Grenze des Königreichs Frankreichs verschob sich bis an den Atlantik. Der Sieg über die Normannen machte aus der bis dahin strategisch wichtigen Grenzstadt Beauvais plötzlich eine friedvolle Enklave. Damit wurden die bischöflichen Mittel frei, die jahrelange Kriege an der Seite des französischen Königs gebunden hatten. Und so wollte man eine Kathedrale bauen, die alle anderen Kirchen in der Höhe übertrafen. 1247 begannen die Bauarbeiten, das Schiff erreichte eine Höhe von 48 m, das Dach war gedeckt, die Kirche eingeweiht. Doch im Jahr 1284 stürzten Teile des Chores ein. Erst nach einem halben Jahrhundert wurde der Chor wiederaufgebaut, die Struktur wurde durch zusätzliche Pfeiler verstärkt. Anschließend wurden die Bauarbeiten eingestellt.

Erst im 16. Jahrhundert, von 1500 bis 1548, wurde das Querschiff gebaut. 1573 fiel der zentrale – mit etwa 150 Meter Höhe vermutlich viel zu groß geplante – Turm in sich zusammen. Ein Hauptschiff wurde nie errichtet. Zu dieser Zeit war die Gotik nicht mehr modern, auch war kein Geld mehr vorhanden.

Gotische Kathedralen auf der Via Podiensis

Le Puy -en-Velay        Cathédrale du Puy                  ab 12.Jh.

Cahors                            Cathédrale St. Etienne           1080 – 1135

Aire-sur-l´Adour        Cathédrale St.-Jean-Baptiste 11./12.Jh.          (Konkathedrale)

Fréjus                              Cathédrale Saint Léonce         12./13.Jh.          (Konkathedrale)

Condom                         Cathédrale Saint-Pierre         14.-16.Jh.           (ehemalige Kathedrale)

Eauze                              Ancienne C. St. Lupercus       2. Hälfte 15. Jh  (ehemalige Kathedrale)

Lectoure                         Ancienne C. St. Gervais          um 1325             (ehemalige Kathedrale)

Gotische Kathedralen auf der Via Tolosana und dem Camino Aragonés

Auch                           Cathédrale  St. Marie d´Auch   1489

Toulouse                    Cathédrale  St. Étiennne           1272                   (Typ Pilgerkirche)

Arles                            Cathédrale  St. Trophime         12.-15.Jh.          (ehemalige Kathedrale)

Oloron -St. Marie    Cathédrale  St. Marie                 12.-14. Jh.         (ehemalige Kathedrale)

Pamplona                   Catedral       St. Maria la Real   1392

Eine Kathedrale oder Kathedralkirche, auch Bischofskirche, ist eine Kirche, in der ein Bischof residiert und die die Kathedra als dessen Sitz enthält. Ehemalige Kathedralen sind also heute keine Bischofssitze mehr, bestehen aber zum Teil noch als Stadtkirchen. Erläuterungen zu den einzelnen Kathedralen an den Jakobswegen findest du in den Kapiteln zu den jeweiligen Städten.

Zahl der gotischen Kathedralen in Frankreich

Nach Wikipedia bestehen in Frankreich heute noch 96 Kathedralen, von denen mindestens 60 zur Zeit der Gotik entstanden sind, von den 12 Konkathedralen sind es 9 und von den 76 ehemaligen Kathedralen sind es 54. Das verdeutlicht, welche besondere Bedeutung die Gotik in diesem Land hatte und hat, sind doch die Kathedralen immer wieder aufs Neue bewundernswerte Bauwerke und immer eine Reise wert.am

Stilistische Merkmale der Gotik

Was genau verbirgt sich aber nun hinter diesem in der Geschichte so kontrovers betrachteten Begriff der Gotik?

Das Streben nach Höhe ist kennzeichnend für die gotische Architektur. Ebenso wie das Auflösen der massiven Wand, um Platz für große Fensterflächen zu schaffen, die den Kirchenraum erstrahlen lassen. Dazu wurden bestimmte bauliche Elemente – wie das Kreuzrippengewölbe, der Spitzbogen und das Strebewerk – verwandt, um diese Idee des himmlischen Jerusalem zu symbolisieren. Es sollten Räume von großer Höhe aus Licht und Farbe geschaffen werden. Durch das unten beschriebene neue Konstruktionssystem ergeben sich eine Betonung der Vertikalen sowie die Auflösung der Wandflächen, die durch große, farbige Fensterflächen gefüllt werden.

Kreuzrippengewölbe

Kreuzgratgewölbe gab es schon vor der Gotik in römischer Zeit oder im angelsächsischen Raum. Das Kreuzgratgewölbe – das typisch für die Romanik ist – war der Vorläufer des gotischen Kreuzrippengewölbes. Die Konstruktion entsteht durch die Durchdringung von zwei, im rechten Winkel, zu einander stehenden Tonnen von gleicher Höhe. Dadurch entstehen gekrümmten Schnittfläche, auch Grate genannt, die dem Gewölbe auch den Namen Kreuzgratgewölbe geben. Die Bautechnik kann nur durch die römische Technik des Mörtelgusses oder bei sehr kleinen Räumen verwendet werden, da ihr statische Grenzen gesetzt sind.

Demgegenüber werden beim Kreuzrippengewölbe die Grate durch die Rippen unterstützt. Die Neuerung bestand darin, dass beim Gewölbe mit einem viereckigen Grundriss zwei Rundbögen kreuzförmig über die beiden Diagonalen gestellt wurden, zumeist mit einem dekorativen Schlussstein an der Kreuzung. Dadurch war die Stabilität des Gewölbes verbessert, und die Gewölbeschalen konnten dünner und damit leichter sein. Die Gurt- und Schildbögen über den vier Außenseiten wurden spitz nach oben gebaut und konnten so die gleiche Höhe wie die beiden längeren und höheren Rundbögen über den Diagonalen erhalten. Mit Einführung des Spitzbogens erfuhr das Kreuzrippengewölbe eine Steigerung der Gestaltungsvielfalt. Außerdem wurden im Laufe der Jahrhunderte reichere Gewölbekonstruktionen entwickelt wie das Netz-, Stern- und Schlinggewölbe.

http://www.urbs-mediaevalis.de/pages/studienportal/bauteiltypologie/bauteile-k/kreuzrippengewoelbe.php

Spitzbogen

Der Spitzbogen gilt als ein zentrales Element der gotischen Baukunst, die deswegen früher auch als „Spitzbogenstil“ bezeichnet wurde. Spitzbögen sind zwar als Einzelelement bereits aus der Romanik bekannt, dort herrschte jedoch noch die Verwendung von Rundbögen vor. Der Spitzbogen ist konstruktiv eine Annäherung an die Bogenform, die dem günstigen statischen Kräfteverlauf einer Parabel entspricht. Spitzbögen bestimmen das Erscheinungsbild gotischer Bauten und finden sich praktisch durchgängig im Querschnitt aller Gewölbe, in der Form der Fenster- und Portalgewände sowie im Maßwerk. Mit Maßwerk bezeichnet man in der Architektur die filigrane Arbeit von Steinmetzen zur Gliederung von Fenstern, Balustraden und geöffneten Wänden (s.u.).

Strebewerk

Das Strebewerk ist ein weiteres zentrales konstruktives und gestalterisches Element der höher werdenden Kirchenbauten. Es ist ein statisches System, das sich in Strebepfeiler und Strebebogen unterteilen lässt und zur Lastabtragung der Kräfte beiträgt. Es dient bei einer Basilika dazu, den seitlichen Gewölbeschub und die Windlast von Mittelschiff und Hochchor aufzufangen. Die Stabilität der Strebepfeiler wird durch Auflasten erhöht, die als Zierelemente wie Fialen (schlanke, spitz zulaufende, flankierende Türmchen) gestaltet sein können. In das Strebewerk wurden auch die Abläufe für Regen- und Schmelzwasser integriert, das über Wasserspeier im Bogen vom Gebäude wegschießt und so von Mauerwerk und Fundamenten ferngehalten wurde. 

Die Schubkraft aus den Gewölben drückt schräg gegen die Hochschiffspfeiler, die ohne den Gegendruck der Strebebögen, einstürzen würden. Das Entgegenwirken der beiden diagonal verlaufenden Kräfte hebt ihre Kraftrichtungen auf, sodass der resultierende Kräfteverlauf vertikal im Pfeilerkern gehalten werden kann. Dies ermöglicht es die Pfeiler trotz der enormen Höhen so schlank auszugestalten. 

Der Strebebogen dient somit dem Weiterleiten des Gewölbe- und Winddrucks, letzterer nimmt aufgrund der ansteigenden Windgeschwindigkeit mit der Höhe zu. Der Kräfteverlauf aus beiden Faktoren entspricht einer Parabelkurve, die bei Windstille steil ist, jedoch bei Windeinwirkung flacher wird. Dann sind zwei Strebebögen notwendig, um den auftretenden Horizontalschub widerstehen zu können. Der untere Strebebogen, der in Höhe des Obergadens ansetzt, leitet überwiegend den Gewölbeschub weiter. Der obere, der an der Traufe beginnt, ist wegen des Winddrucks angebracht worden.

Während das Strebewerk in der Frühzeit der Gotik vor allem statische Funktion hatte und nach innen verlagert war, entwickelte es sich später zu einem wichtigen baukünstlerischen Element und wird deutlich hervorgehoben und von außen sichtbar. Die Strebebögen werden ab 1160 bei Chören (Saint Germain des Pres in Paris) und ab 1180 beim Langhaus (Notre Dame in Paris) frei sichtbar oberhalb der Dachflächen angesetzt.

http://www.urbs-mediaevalis.de/pages/studienportal/bauteiltypologie/bauteile-s/strebewerk.php
http://www.urbs-mediaevalis.de/pages/studienportal/bauteiltypologie/bauteile-s/strebewerk.php

Auflösung der Wand

Bei der Gotik ermöglichten nun die leichtere Bauweise durch Spitzbögen, Kreuzrippengewölbe, Strebewerk und Strebepfeiler eine Verlagerung der tragenden Elemente in den Außenbau, eine starke Reduzierung der Mauerstärken sowie eine weitgehende Durchbrechung der Wände durch Fenster. Die statische Funktion der Bauglieder wird im Innenraum bewusst überspielt, um eine Illusion von Leichtigkeit und Schwerelosigkeit der Architektur zu schaffen. Im Innenraum wird über den Arkaden zu den Seitenschiffen und zum Chorumgang hin ein als Triforium bezeichneter Laufgang in die Wand eingelassen. In die Außenwand wurde eine Vielzahl großflächiger Fenster eingelassen, die das Gebäude leicht und lichtdurchflutet erscheinen lassen. In der Hochgotik wird schließlich auch noch die Rückwand des Triforiums durchfenstert, sodass die Wand vollständig durchbrochen erscheint. Dennoch ist praktisch jedes Element eines gotischen Baukörpers tragend. Die Baumeister der Gotik schufen neue Konstruktionen durch evolutionäre Weiterentwicklung nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“. Deswegen stürzten einige Bauten schon während der Bauphase ein (z.B. die Kathedrale von Beauvais) oder mussten nachträglich aufgrund auftretender Risse mit weiteren kraftableitenden Elementen verstärkt werden. Es entsprach aber – wie oben erläutert – ganz dem damaligen Denken des technischen Empirismus, der auch Fehlschläge mit einkalkulierte.

Das Maßwerk und die Fenster

Mit Maßwerk bezeichnet man in der Architektur die filigrane Arbeit von Steinmetzen zur Gliederung von Fenstern, Balustraden und geöffneten Wänden. Das Maßwerk besteht aus geometrischen Mustern, die als Steinprofile umgesetzt werden, wobei der Stein komplett durchbrochen (skelettiert) wird. Das Maßwerk ist ein Element der gotischen Architektur und ist eines der wichtigsten Merkmale der Hoch- und Spätgotik, wo es ein unabdingbarer Bestandteil der Fenster war. Diese Fenster aus Buntglas stellen abstrakte Bilder dar oder Szenen aus dem biblischen Leben.

In der bildenden Kunst bezeichnet der Begriff „Buntglas“ gewöhnlich Glas, dem bei der Herstellung lichtdurchlässige Farbe hinzugefügt wurde: ein Verfahren, das seinen Höhepunkt in der gotischen Architektur erreichte, in den malerischen erzählenden Fenstern der großen christlichen Kathedralen. Die Kunstfertigkeit der Glasmaler, die solche mittelalterlichen Meisterwerke wie die Fensterrose an der Westfassade der Kathedrale von Chartres schufen, ist in der Tat selten und außergewöhnlich.

Der Künstler (in der Praxis eine Gruppe von Künstlern) überwachte nicht nur den gesamten Produktionsprozess, um die Unversehrtheit und die richtige Pigmentierung des Glases zu gewährleisten, sondern war auch für die Gestaltung, die Komposition und die Effekte der Glasmalerei verantwortlich. Er begann in der Regel mit einer Reihe von Kohleskizzen oder Skizzen) des gewünschten Bildes. Daraus wurde eine Reihe von Entwurfsplänen in Originalgröße erstellt, die in der Regel direkt auf die Oberfläche aufgetragen wurden, die zum Schneiden, Malen und Zusammensetzen des Glasmosaiks verwendet wurde. Besonderes Augenmerk wurde auf die genauen Details und die Farbgebung der in der Glasmalerei dargestellten Bilderzählung gelegt. Es konnte sich dabei um die Darstellung einer biblischen Episode aus dem Alten oder Neuen Testament handeln, um das Leben von Propheten oder Heiligen, um ein Ereignis aus dem Leben Christi oder der Heiligen Familie.

Gewöhnlich wurden auch zusätzliche Symbole oder Motive eingefügt, die die Person oder die Zunft identifizierten, die für das Fenster bezahlt hatte. All dies erforderte eine sorgfältige Vorplanung, bevor der Produktionsprozess begann.

Um die optimale Farbgestaltung eines Glasfensters zu gewährleisten, musste der Künstler außerdem den Winkel, die Menge und die Intensität des einfallenden Lichts beurteilen. Helles Licht erfordert zum Beispiel hellere und dunklere Farben. Dies musste mit der Notwendigkeit eines Farbkontrasts sowie mit der Notwendigkeit, je nach Tages- und Jahreszeit unterschiedliche Lichtverhältnisse zu schaffen, in Einklang gebracht werden. Kurz gesagt, die Kunst der Glasmalerei umfasste architektonisches Design, Glasherstellung, Farbchemie, Cloisonné -Emaille und ein Dutzend anderer Künste und Handwerke.

Von Photo by PtrQs, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=54491069 Rosette Nord von Chartres
Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=321662
Saint Chapelle oberer Teil Von Didier B (Sam67fr) - Eigenes Werk, CC BY-SA 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1109265

Skulpturen in der Gotik

Die Skulpturen wurden zunächst für Kathedralen gefertigt und dort entweder innen oder außen an den Mauern der Kathedrale angebracht. Die gotische Plastik entsteht zunächst aus dem Wunsch heraus, die Fassaden der Kathedralen mit Standbildern, Reliefs und Figuren zu schmücken, die die Heilsgeschichte symbolisieren. Daher wurden gotische Skulpturen mit den hinter ihnen befindlichen Wandteilen aus einem Stück Stein gehauen. Dennoch wirken sie unabhängig von der Architektur, weil sie nahezu voll rund gearbeitet sind. Ein Ensemble aus Tympanon, Bogenfries, Säulen, Statuen und Fundamentverkleidung macht das historische gotische Portal aus. Unter den eingemeißelten Themen finden wir neben der Apokalypse und dem Jüngsten Gericht auch Szenen aus dem Alten Testament, die typologisch mit denen des Neuen Testaments korrespondieren. 

So unmittelbar an die Architektur gebunden stehen die säulenhaften Figuren mit starrem Blick immer im Bezug zum Wandhintergrund, benötigen eine Konsole, auf der sie stehen und einen Baldachin über dem Kopf. Die Figuren wurden zunehmend individualisiert, das heißt, sie bekamen eine eigene Gestik und Mimik, sowie eine eigene Körperhaltung. Die Skulpturen in der Romanik haben keinen Schwung in sich, was bei den Skulpturen in der Gotik anders ist, denn sie haben eine bewegte Darstellung. Mit einer ungezwungenen Eleganz und mit einem weich fließenden Gewand wird die Haltung der Personen in einer leichten S-Kurve dargestellt, was man auch als S-Schwung bezeichnet. Auch an der Kleidung der Skulpturen wurde gearbeitet, denn sie bekamen einen ausgeprägten Faltenwurf, der die gesamte Skulptur lebendiger aussehen ließ. Noch dazu wurden den Skulpturen mehr Details verliehen, sodass sie insgesamt näher an der Realität sind als die Skulpturen der Romanik. Zunächst waren die Skulpturen noch relativ statisch. Doch in der zweiten Hälfe des 14. Jhs. regte ein neuer Realitätssinn dazu an, weitere Gestaltungsmerkmale zu verwenden. 

Westliche Portalanlage von Chartres Von Rolf Kranz - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=85693799
Gewände des Mittelportals der Westfassade der Kathedrale von Reims Von Szeder László - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3734097

Auch auf dem Gebiet der Plastik war zunächst Frankreich führend. Berühmte Beispiele sind die West- und Querhausportalfiguren von Chartres – um 1145 – sowie die Figuren der Kathedralen in Reims, Paris und Amiens. Im 13. Jahrhundert zur Stauferzeit schufen auch die deutschen Künstler Meisterwerke der gotischen Plastik.

Allein die 33 lebensgroßen und 200 kleinen Figuren auf einer vergleichsweise kleinen Fläche an den drei großen Westportalen der Kathedrale von Reims zeugen von einer bewundernswerten Kreativität und einem großen handwerklichen Können. Die Säulenstatuen an den drei Westportalen der Kathedrale von Chartres gehören wohl zu den berühmtesten Werken der gotischen Bildhauerei überhaupt. Die Steinmetze in Chartres kleideten die Dargestellten in reiche höfische Gewänder des 12. Jhs., wodurch sie ein neues Verhältnis zum Menschen und zur Natur offenbaren. Sie machten harten Stein geschmeidig.

Und wenn man bedenkt, dass man solch wunderbare Sammlungen gotischer Skulpturen auf hunderten von ähnlichen Kirchen findet, so kann man nur die außergewöhnliche Produktivität der Steinmetze des 13. Und 14. Jhs. bewundern. Viele Leistungen der Künstler in Frankreich, Spanien, England und im Heiligen römischen Reich deutscher Nation bleiben dennoch die Schöpfungen anonymer Kunstschaffender

Die neue Form der Bauhütten

Von besonderer Bedeutung für die Gotik war die Ausbildung von Bauhütten seit dem 13. Jahrhundert, ein Verband aller an einem großen Kirchenbau beteiligten Steinmetzen, Handwerkern und Bauleuten, die unabhängig von der städtischen Zunftordnung und mit einer eigenen strengen Ordnung arbeiteten. Vor allem waren sie an die „Arkandisziplin“ gebunden. Das Arkanprinzip (von lateinisch arcanum – „Geheimnis“) ist der Grundsatz, Informationen nur einem Kreis von Eingeweihten – hier den Mitgliedern der Bauhütte – zugänglich zu machen. Waren bisher überwiegend Mönche oder Priester in die Geheimnisse der Baukunst eingeweiht, so verlagerte sich das Wissen nun zu profanen Baumeistern (sie zeichneten die Pläne – allerdings nicht maßstabgetreu), sowie Steinmetzen, Malern und Bildhauern. Und eben alle diese weltlichen Handwerker, die am Bau eines Gotteshauses beschäftigt waren, schlossen sich zu einer Bauhütte zusammen. Aus dem Zusammenwirken in einer Bauhütte lässt sich u.a. der einheitliche Eindruck gotischen Kathedralen erklären.

Die Leiter der Bauausführung hießen oft Werkmeister (wercmeistere) oder Baumeister; sie gingen zumeist aus dem Steinmetzhandwerk hervor und waren die mittelalterlichen Architekten. Auch Bezeichnungen wie magister operis kamen vor. Bei der Ausführung hatten der Steinmetzmeister (magister lapicidae) und der Maurermeister (magister caementari) sowie der Sculptor  (Bildhauer) Bedeutung. Die Meister der Bauausführung wechselten bei jedem Bauwerk häufiger, schon auf Grund der langen Bauzeiten.

Die Baumeister waren im Grunde die mittelalterlichen Architekten und eigentlichen Schöpfer der Baukunst. Das neue Verständnis und das neue Selbstbewusstsein der Baumeister zeigten sich auch darin, dass erstmals Baumeister und Künstler namentlich hervortraten. Kennen wir aus der Zeit der Romanik kaum einen Namen, so besaßen in der Gotik zahlreiche Baumeister einen besonderen Ruf und wurden gezielt mit der Errichtung von Kathedralen beauftragt.

Einige bekannte Grössen waren:

  • Meister Gerhard, Meister Arnold, Johannes von Köln, Meister Michael, Andreas von Everdingen, Nikolaus van Bueren und Konrad Kuene van der Hallen für den Kölner Dom
  • Wilhelm von Sens für die Kathedrale von Canterbury und von Sens
  • Michael Knab, Wenzel Parler, Hans Puchsbaum, Anton Pilgram und Jörg Öchsl für den Stephansdom in Wien
  • Baumeisterfamilie Parler, die gleich mehrere bekannte Kathedralen mitgestalteten, so das Basler, FreiburgerGmünder, Straßburger und Ulmer Münster sowie den Veitsdom in Prag
  • Werkmeister Guerin von der Kathedrale von St, Denis (13. Jh.), der wohl ersten gotischen Kathedrale
  • Werkmeister Hugues Liebergier (1229–1263) von der Abteikirche St.-Nicaise von Reimes
  • Werkmeister Pierre de Montreuil (um 1250) von der Kathedrale Notre-Dame de Paris
  • Juan Guas für die Kathedralen von Avila und Segovia
  • „Meister Enrique“ von Narbonne (Südfrankreich) für die Kathedralen von Léon und Burgos
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