Die Romanik in Nordwestspanien

Via de la Plata, Camino del Norte, Camino Primitivo, Via Tolosana

  1. Historische Gegebenheiten

 Die Entstehung und Ausprägung der romanischen Architektur ist in Spanien anders verlaufen als in den meisten west- und mitteleuropäischen Ländern, weil die historischen Voraussetzungen anders waren. Denn seit 711 herrschten die Araber über fast die gesamte iberische Halbinsel. Allein das asturische Königreich, das später im Königreich Kastilien und Leon aufging, war nicht besetzt. Es war das Zeitalter der Romanik, in dem die Reconquista – die Rückeroberung unter christlichen Vorzeichen – ihre ersten Erfolge verbuchte. Neben Asturien waren es die fränkische Mark Katalonien und die Königreiche Navarra und Aragon, die die Reconquista vorantrieben und die Rückeroberung Spaniens von den Arabern im Laufe der Zeit zu einem Anliegen der gesamten Christenheit machten. Die Reconquista erreichte Mitte des 11. Jhs. die Linie Ebro-Duero, zu Beginn des 12. Jhs. den Tajo und Anfang des 13. Jhs. den Guadiana (vgl hierzu auch die Texte über die Arabisierung Spaniens und die Reconquista).

In der Folge dieser politischen Veränderungen kam es auch zunehmend zu kulturellen Entwicklungen. So wurde die Wallfahrt nach Santiago de Compostela sehr stark forciert und in diesem Zusammenhang entstanden auf den Pilgerwegen dorthin zahlreiche Kirchen und Klöster. Mit einem gewissen zeitlichen Abstand weitete sich der Kirchenbau dann auch nach Süden aus. Der Widerstreit zwischen den arabischen Herrschern im Süden und den christlichen Herrschern im Norden hatte eine kulturelle Zweiteilung der iberischen Halbinsel zur Folge. So ist die romanische Baukunst eigentlich nur im nördlichen Bereich zu finden, während im Süden teilweise noch bis ins 15. Jh. die arabische geprägte Architektur gepflegte wurde. Deshalb findet man unter https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:Bauwerk_der_Romanik_in_Spanien  auch nur eine Aufstellung von Bauwerken der Romanik in den Regionen Aragon, Navarra, Kastilien-Leon, Galicien und Katalonien.

https://www.arteguias.com/arquitectura.htm
Kastilien/Leon Von GFreihalter - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=25411646 Zamora
  1. Der vorwiegend französische Einfluss auf die romanische Baukunst in Nordwestspanien

 Die romanische Baukunst in Nordwestspanien weist anfänglich noch eine gewisse Eigenständigkeit auf. So ist der Übergang von der asturisch/mozarabischen Kunst zur Romanik fließend. Aber mit der zunehmenden Intensität der Pilgertätigkeit verstärkt sich zunehmend der Einfluss einer europäischen, besonders französisch geprägten Architektur. Für diese starke Anpassung an die französische Baukunst gibt es mehrere Gründe.

  1. Die Pilgerwege, entlang derer sich im Laufe der Zeit ein richtiges Baufieber entwickelte, bedingten eine stärkere kulturelle Offenheit. Zunächst entstanden nur wenige Hospize entlang der Wege. Dann bildeten sich größere Siedlungen heraus und Klostergemeinschaften kümmerten sich um das seelische und leibliche Wohl der Pilger. Die in diesem Zusammenhang neu errichteten Kirchenbauten orientierten sich an ausländischen Vorbildern. Hier ist auch der Einfluss des Benediktinerklosters in Cluny wichtig, wurden von dort aus doch zahlreiche Konvente in Spanien errichtet.
  2. Ein zweiter Grund ist die Entwicklung des Zisterzienserordens. Denn die Gläubigen trauten den Zisterziensern im Laufe des 11. Jh. stärker als anderen zu, effizient für das Seelenheil der Verstorbenen zu sorgen. Deshalb förderten und unterstützten die verschiedenen Machthaber die Ansiedlung der Zisterziensermönche. Da der Orden aber in seiner ganzen Struktur sehr straff organisiert war, gab es intensive Wechselbeziehungen zu zahlreichen Klöstern in Europa und vor allem zur französischen Zentrale. Die Abtei Citeaux war das Mutterkloster aller Zisterzienserabteien.
  3. Die stark an der französischen Kultur orientierten Ritterorden, die ja auch im Rahmen der Pilgerbewegung und der Reconquista aktiv waren, förderten ebenfalls diese Entwicklung.
  4. Eine aktive Bevölkerungspolitik der Lokalherren mit der Vergabe von Privilegien an Fremde führte zu einer deutlichen Ansiedlung von neuen Bürgern in den Städten. So entstanden zahlreiche Frankenviertel, d.h. Viertel, in denen vorwiegend aus Frankreich kommende freie Bürger lebten.
  5. Auch ästhetische Gründe spielten eine Rolle. So wurde Ende des 12. Jhs. die französische Baukunst als vorbildlich empfunden, so dass sich Bauherren, die eine anspruchsvolle Kirche errichten wollten, an französischen Vorbildern orientierten.

Aber es wäre zu einseitig, den Einfluss nur in eine Richtung zu sehen. So ist die Romanik auf der Iberischen Halbinsel ohne den Einfluss der französischen Baukunst nicht denkbar, aber die spanische Romanik ist nicht nur ein Ableger der französischen sondern sie hat auch eigene Leistungen hervorgebracht und somit haben auch umgekehrt Anregungen aus Spanien Eingang in die französische Baukunst gefunden. Das intensive künstlerische Schaffen entlang der Pilgerwege war stets auch mit wechselseitigen Beeinflussungen verbunden.

Von PMRMaeyaert - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=17443361 Jaca Aragon
  1. Gestaltung der romanischen Baukunst in Spanien

 Geografische Einflüsse

Auf Grund der politischen Situation findet man vorwiegend im Norden und Westen Spaniens eine größere Zahl von romanischen Kirchen (s.oben). Dabei kann man die Romanik regional in zwei Bereiche aufteilen.

Der Osten mit der Landschaft Katalonien steht in 11. Jh. in starkem Austausch mit Oberitalien, konkret der Lombardei. Charakteristische Elemente der lombardisch ostromanischen Baukunst sind:

Wände aus einem nur grob zugehauenen Bruchstein geschichtet, aus dem Tür- und Fensteröffnungen wie ausgeschnitten erscheinen. Einziges Gliederungselement sind flach an die Wand aufgelegte Lisenen.

In den westlich von Katalonien gelegenen Landesteilen hat sich die westromanische Baukunst herausgebildet, die sich stärker an der französischen Kultur orientierte. Ausschlaggebend für diese Entwicklung war die Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela und die damit verbunden Einflüsse. Charakteristische Elemente der westromanischen Baukunst seit dem 11. Jh. sind:

Glatt bearbeitete und sauber gefugte Quader und plastisch geformte Gliederungsteile wie man sie auch jenseits der Pyrenäen findet.

Allein in Aragon treffen der ost- und westromanische Baustil zusammen. Allerdings findet keine Vermischung statt, sondern es entstehen stilreine Bauten beider Richtungen. Zu nennen ist hier in Santa Cruz de la Seros die Kirche San Caprasio im lombardischen Stil und die Klosterkirche San Maria im westromanischen Stil.

Das Erscheinungsbild

Das Erscheinungsbild der westromanischen Kirchen ist in vielen Orthaften häufig eher schlicht und angebunden an die lokalen Traditionen.

Viele der eher regionalen Hallenkirchen zeigen typische Merkmale:

  • mit halbrunden Apsiden und Querschiff,
  • längsmassive, wuchtige und geduckte Bauform, die außen wenig gegliedert ist,
  • kleine Fenster, dicke Mauern, Tonnengewölbe mit und ohne Gurtbögen,
  • Fenster und Eingänge mit Rundbögen überwölbt, Fenster häufig durch Zwischensäulen in mehrere Fensterbögen unterteilt,
  • oft wenig belichtete, höhlenartige Innenräume, runde, quadratische oder gegliederte Pfeiler,
  • Ornamentik dezent eingesetzt
  • häufig runde, quadratische oder rechteckige Türme, die an verschiedenen Teilen der Kirche – meist an den Seiten oder über dem Querschiff angebracht sind. Diese Platzierung war darauf zurückzuführen, dass die Bauherren die Türme, da sie aus Ziegeln gebaut waren (ein Material, das weniger beständig ist als Stein), im stärksten, widerstandsfähigeren Abschnitt (normalerweise an den Apsiden) aufstellen mussten. 

In die folgende Zeit bis Mitte des 13. Jhs. (Spätromanik) fällt der Bau vieler Klöster und Kirchen der Zisterzienser. Auf Grund des Glaubensverständnisses der Zisterzienser waren Einfachheit und Funktionalität Kriterien, die die mittelalterlichen Klosterbauten der Zisterzienser ebenso kennzeichnen wie monumentale Größe und ästhetische Raumwirkung.  Die Verbote, die den Luxus betrafen, sahen außerdem für die Klosterkirche einen Bau ohne Krypta und Turm mit flachabschließendem Chor (keine Apsis) vor. Teilweise wurde im Inneren auf Ornamentik und Bauschmuck verzichtet.

Übergang zur Gotik als Baustil

In Spanien ist kein schrittweiser Übergang von der Romanik in die Gotik zu verzeichnen, sondern der neue Stil entstand „fast schlagartig“ in den 20iger Jahren des 12. Jhs. mit den Kathedralen von Toledo und Burgos. Diese sind im Prinzip Kopien von gotischen Kirchen in Frankreich. Die schnelle und vor allem einheitliche Entwicklung der Gotik im Land lässt sich dadurch erklären, dass von den zentralistischen Regierungen der Königreiche von Katalonien-Aragon und Kastilien-Leon ein gleichartiger Stil der Kirchen proklamiert wurde. Diese Entwicklung, wie wir sie ja auch aus dem zentralistischen Frankreich kennen, diente auch zur Demonstration der königlichen Macht im Lande und den veränderten Machtverhältnissen.

 

Von Jose Antonio Gil Martínez. FREECAT aus Vigo - Flickr, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3370116 Ourense Galizien
  1. Baumeister, Steinmetze und Erbauer und Sponsoren

Im Mittelalter hat es den “Architekt“ – wie er von den Römern verstanden wurde – in dieser Form nicht gegeben. Die Aufgaben des ehemaligen Architekten werden von den Baumeistern durchgeführt. Der Baumeister war ein Künstler, der in den meisten Fällen mit einem Team von Arbeitern, die er unter seinem Kommando hatte, zusammen an den   Bauten arbeitete. Der Baumeister war derjenige, der die Arbeiten an den Gebäuden beaufsichtigte, aber gleichzeitig war er auch Handwerker, Bildhauer, Tischler oder Steinmetz. Diese Personen wurden normalerweise in Klöstern oder in Gruppen von gewerkschaftlich organisierten Freimaurerlogen ausgebildet.

Neben dem Baumeister gab es eine große Gruppe von Steinmetzen, Maurern, Bildhauern, Glasmachern, Tischlern und Malern und anderen Berufen. Diese Mannschaften bildeten Werkstätten, aus denen oft lokale Meister hervorgingen, die in der Lage waren, zahlreiche ländliche Kirchen zu bauen. Sie zogen in einem gewissen Umkreis (ca. 150 qkm) gemeinsam von einer Baustelle zur anderen. So erklärt sich auch die typische regionale Gestaltung von Kirchen.

Steinmetze bildeten den Großteil der Arbeiter bei der Errichtung der Gebäude. Die Anzahl der Steinmetze war abhängig von der Größe der sakralen Gebäude. Einige Zahlen sind bekannt, so waren beim Bau der Alten Kathedrale von Salamanca zwischen 25 und 30 Steinmetze angestellt. Diese Steinmetze und andere Arbeiter waren von Steuern befreit. Sie wurden entsprechend ihrer Spezialisierung in zwei Gruppen eingeteilt. Die erste Gruppe waren diejenigen, die Gebäudeteile von hochwertiger Qualität oder die geschnitzten Reliefs erstellten (echte Bildhauer) und die in ihrem eigenen Tempo arbeiteten. Sie hinterließen ihre fertige Arbeit auf dem Gelände. Diese Teile wurden dann erst später am oder im Gebäude platziert. Die zweite Gruppe bestand aus fest angestellten Mitarbeitern, die das Gesamtgebäude errichteten. Daneben gab es auch eine Gruppe ungelernter Arbeiter. In vielen Fällen boten diese Leute ihre Arbeit oder ihr Können an, weil sie als Christen stolz waren, an einem großartigen Projekt mitzuarbeiten, das ihrem Gott gewidmet war. Aber auch sie erhielten eine Vergütung entweder pro Tag oder pro Stück. 

Von besonderer Bedeutung für die Gestaltung der Kirchen waren natürlich die Bauherren, bestimmten sie doch neben der Größe der Kirche z.B. welche Themen und Heilige in den Skulpturen und Reliefs dargestellt werden sollten. Außerdem beriefen sie entsprechend den finanziellen Möglichkeiten die jeweiligen Baumeister und Künstler. Neben den Klöstern waren es in Nordwestspanien vor allem die Könige und ein Teil des Adels, die als Förderer des neuen romanischen Stils auftraten. Ein Teil der Kirchen am Pilgerweg waren königliche Stiftungen, woran sich das Interesse der Herrscher am Pilgerweg zeigt. Denn sie erhofften sich von den großen Pilgerströmen einerseits wirtschaftliche Prosperität, verbanden damit aber auch religiöse und spirituelle Hoffnungen.

Von Ángel M. Felicísimo from Mérida, España - Santa María la Real, Sangüesa, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=51254324 Navarra

Exkurs: Die spirituelle Bedeutung der Kirchen für die Pilger

Vielleicht noch ein paar Worte zur Wirkung der Kirchen auch heute auf den Jakobswegen.

Kirchen sind nicht funktionale Zweckbauten, sondern prägen als symbolische Bauten eine Geschichte des Verhältnisses Gott-Mensch. Gläubige machen hier eine besondere Erfahrung, das Gefühl einer besonderen Nähe zu Gott. Kirchen sind Metaphern für ein Welt- und Gottesverständnis, das sich immer wieder kulturell gewandelt hat. Diese kulturellen Veränderungen aber auch ihre unterschiedlichen regionalen Ausprägungen finden dann ihren sichtbaren Ausdruck in der baulichen Gestaltung der Kirchen.

Neben dieser religiösen Betrachtung gibt es noch weitere Bedeutungen. So schreibt Pascal Mercier einmal: „Dafür sind Kathedralen gebaut worden als Orte, an die man gehen kann, wenn die Dinge des Lebens einen überwältigen: Schmerz, Verzweiflung, Einsamkeit, Tod. Man braucht an nichts zu glauben. Der Raum allein genügt.“

Es sind auch Rückzugsorte, wenn man keine großen Probleme hat. Allein die Ruhe und das Stille berühren einen im Inneren. Sie regen zum Nachdenken, zum Innehalten, zum Meditieren an. Es findet gerade hier noch einmal eine Entschleunigung statt, ein so wichtiges Gefühl beim Pilgern. Man genießt auch die Kühle der Kirche im Vergleich zur Hitze der Landschaft. Ja und gelegentlich wird man auch einfach eingefangen von der mystischen Atmosphäre einer Kirche.

Nooteboom spricht noch einen anderen Aspekt an. Er sagt, dass wir uns ja immer in der Geschichte befinden der gegenwärtigen und der von einst. Und Kirchen regen uns  dazu an, uns mit der Vergangenheit  auseinanderzusetzen. So können wir uns z.B.  in die Zeit des längst für immer verschwundenen Mittelalters versetzten und vielleicht auch die Mühen und Schwierigkeiten der damaligen Pilger reflektieren.

 

F961C464-5F32-4231-892A-625E144D46C0_1_105_c
Die Jakobsmuschel – Symbol des Jakobsweges
Die Jakobsmuschel – Symbol des Jakobsweges Die...
weiter lesen
Landschaft_bei_Monsaraz
Dehesas - beweidete Eichenwälder in der Extremadura
Dehesas – beweidete Eichenwälder in der Extremadura Geographisches...
weiter lesen
1026px-Burgos_Kathedrale_Außen_April_2003_ShiftN
Die Architektur der Gotik und ihre Geschichte in Spanien
Die Architektur der Gotik und ihre Geschichte in Spanien –...
weiter lesen
Templer2
Aufstieg und Fall der Templer: ein Mythos, der nicht sterben will
Aufstieg und Fall der Templer: ein Mythos, der nicht...
weiter lesen
Historisch1
Ritterorden in Spanien
Ritterorden in Spanien Historisches auf dem Via de...
weiter lesen
Zamora_San_Isidoro_701
Die Romanik in Nordwestspanien
Die Romanik in Nordwestspanien Via de la Plata, Camino...
weiter lesen
Translate »