Transhumanz – traditionelle Weideform und wichtiger Beitrag zur Biodiversität

Via de la Plata

Begriff

 

Transhumanz ist eine Form der Weidewirtschaft, bei der das Vieh (i.d.R. Schafe und Ziegen, aber auch Kühe und Pferde) im Sommer auf Höhenzügen und im Winter in schneefreien Niederungen steht. Im Gegensatz zum Nomadismus gehören die Herden einer sesshaften Bevölkerung und werden von Hirten zu den Weideplätzen, die sich im jahreszeitlichen Klimarhythmus ergänzen, begleitet. Bei der Transhumanz wird das Vieh im Unterschied zur Almwirtschaft in der Regel nicht eingestallt, da es klimatisch nicht notwendig ist. Die Eigentümer selbst betreiben Ackerbau oder gehen anderen Berufen nach.

Hauptverbreitungsgebiet der Transhumanz ist der Mittelmeerraum.

Von Ökologix - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=32403478

Transhumanz in Spanien

 

In Spanien ist die saisonale Wanderschäferei über weite Strecken seit Jahrhunderten eine Tradition. Hier hat die regelmäßige saisonale Beweidung durch die Schafe eine einzigartige Kulturlandschaft mitgeschaffen.

Im Frühsommer, wenn weite Landschaften Zentral- und Südspaniens anfangen auszutrocknen, beginnt die Transhumanz in Spanien. Über Hunderte von Kilometern wurde/wird das Vieh aus Andalusien und der Extremadura in die gebirgigen, feuchteren Regionen der Provinzen León und Palencia getrieben. 

Bereits im zwölften Jahrhundert standen Wanderhirten unter dem besonderen Schutz der Könige. Für sie wurden eigens bis zu 75 Meter breite Viehwege mit Schutzhütten und Tränkestellen festgelegt. Auf den sogenannten Cañadas konnten Forscher mehr als vierzig Pflanzenarten pro Quadratmeter und mehr als hundert Schmetterlings- und andere Insektenarten nachweisen.

In Spanien trieben die Hirten noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehr als vier Millionen Schafe,Rinder, Ziegen, Esel und Pferde in den Norden Spaniens und zurück. Damit schufen sie ein Wegenetz von mehr als 124.000 Kilometern durch das Land. Eine uralte und die Landschaft prägende Tradition, die durch die Intensivierung der Landwirtschaft in Spanien in den 1960er-Jahren fast in Vergessenheit geriet.

Diese Wende kam mit dem Eintritt Spaniens in die Europäische Gemeinschaft und der damit verbundenen EG-Supermarkt-Agrarpolitik, gegen die die spanischen Wanderhirten mit ihrer überlieferten, extensiven Viehzucht keine Chance hatten. Die Entkopplung der EU-Beihilfen und die Konkurrenz durch Importe aus dem Ausland haben zu einer massiven Aufgabe kleiner, extensiv arbeitender Betriebe geführt. Diese Schließung von Betrieben führt bei den großen Betrieben zu einer weiteren Intensivierung, um wettbewerbsfähig zu bleiben. So befindet sich die extensive Weidewirtschaft mit Schafen und Ziegen, die zum Artenerhalt und für die Landschaftspflege in ganz Spanien von fundamentaler Bedeutung ist, an einem Scheideweg, der über die Zukunft der Natur und des ökologischen Gleichgewichts entscheidet. Gerade unter dem Eindruck der Klimakrise, der stärkeren Dürrperioden, der Austrocknung und Auslaugung der Böden sowie der gängigen Probleme einer intensiven Landwirtschaft ist hier ein Umdenken gefragt.

Die mangelnde Überlieferung von Generation zu Generation, die Modernisierung und die geringe Rentabilität der Verfahren und die heruntergekommenen Viehwege haben zu einem Niedergang der Transhumanz geführt, die sehr stark Gefahr läuft, in naher Zukunft völlig zu verschwinden. Zudem ist sie weiterhin eine wichtigste wirtschaftliche Tätigkeit in vielen ländlichen Bergregionen, wo die physischen Faktoren andere Arten der Landwirtschaft einschränken.

Mitunter geht es nicht nur auf Feldwegen, sondern auch Landstraßen zum nächsten Ziel der Transhumanz. Foto: Hilke Maunder "Mein Frankreich"

Bedeutung der Transhumanz für das ökologische Gleichgewicht

(u.a. am Beispiel der Dehesas)

  • Die Dehesas werden in der Trockenheitsphase nicht vertreten und bis zum letzten Halm abgefressen.
  • So wird eine Überweidung vermieden und der Lebensraum anderer Tiere (z.B. gefährdeter Steppenvögel) geschützt.
  • Immergrünen Weiden binden auch im Winter weiterhin Kohlendioxid (CO2) über die Pflanzen und speichern dies über die Wurzeln im Boden. 
  • Mehrschichtige und unbelastete Grünlandboden bindet zudem Schadstoffe wie übermäßigen Stickstoff und verhindert damit eine Nitratbelastung von Grundwasser, Flüssen und Seen.
  • Die Böden können im Herbst die Regenfälle besser aufnehmen.
  • So wird auch die Erosion der Böden verringert.
  • Das schützt wiederum die Artenvielfalt der Dehesas.
  • Der Arbeitsaufwand auf den Farmen wird durch die Abwesenheit der Schafe verringert.
  • Man spart sich das Kraftfutter für die Schafe, was zur Verminderung des CO2 -Fußabdruckes führt.
  • Auf den Bergweiden wird die Verbuschung vermieden und Weideflächen freigefressen.  indem die Weidetiere bestimmte Pflanzen immer wieder “verbeißen”, wo sonst mehrjährige Sträucher und Bäume bald alles zuwuchern würden. Dadurch sind in Europa einzigartige Kulturlandschaften entstanden.
  • So kann auch die Biodiversität (siehe Kapitel unten) gestärkt werden, da durch die Verbuschung bestimmte Tierarten wie der Braunbär, der Auerhahn oder der Bartgeier bedroht sind.
  • Untersuchungen aus Spanien haben aufgezeigt, dass mit dem Kot eines einzigen Schafes bis zu 6000 Samen am Tag ausgeschieden werden. Damit tragen Schafe nicht nur zur Artenvielfalt in der Landschaft bei, sie vernetzen auch wichtige Biotope untereinander. Auf manchen historischen Wanderwegen hat sich über die Jahrhunderte durch die Wanderschäferei eine einzigartige Flora und Fauna entwickelt.
  • Außerdem wird die Waldbrandgefahr in den Bergen so reduziert.
  • Durch die Transhumanz werden außerdem viele Wanderwege, Canadas (bis zu 125.000 km Länge) erhalten, ein unschätzbares Natur- und Kulturerbe.

Politische und organisatorische Aktivitäten in Spanien

Seit den 1990ern bemühte sich eine Handvoll Hirten und Naturschützer um die Wiederbelebung der Transhumanz, und die Regierung stellte die Wege 1995 schließlich unter Schutz.

Als weiteres Ergebnis hat das Ministerium für die Umwelt, den ländlichen Raum und die Meeresumwelt (MARM) ein Förderprogramm für die Transhumanz über das nationale Netzwerk für ländliche Räume eingerichtet, das teilweise über den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) mit 1,6 Millionen Euro gefördert wird. Das Programm unterstützt Hirten, die saisonal wandern, und sieht Maßnahmen vor, um der Öffentlichkeit die Bedeutung der Hirten bewusst zu machen. Dies umfasst u.a. Präsentationen, die Entwicklung von Unterrichtsmaterial für Schulen und den mittlerweile berühmten Schaftrieb durch Madrid.

Neben anderen Organisationen kümmert sich auch die Fundación Global Nature um die Biodiversität im ländlichen Raum. Um die Geschichte der Transhumanz lebendig zu halten, wurde die Fundación selbst zum Viehhalter und ging viele Jahre lang mit einer Herde von 2.200 Merinoschafen auf die Wanderreise. Im Moment arbeitet die Fundación Global Nature España im Wesentlichen daran, neue Möglichkeiten für die Transhumanz aufzuzeigen, um diese auch finanziell attraktiver zu machen. Dazu zählt die Haltung alter und gefährdeter Haustierrassen, die sich bestens an das Klima, die Sommerhitze und den kargen Boden anpassen und hervorragende Fleischprodukte aus ökologischer Viehzucht liefern können. Außderdem sollen neue Vermarktungsstrategien wie z.B. die Werbung für “Produkte aus der Transhumanz”  intensiver auszubauen werden.

Interessant zu wissen:

2026:   Ein Jahr im Zeichen der Transhumanz
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNGA) hat 2026 als Internationales Jahr der Weidelandschaften und Pastoralisten (= Hirten und andere) ausgerufen.

Das IYRP soll das weltweite Verständnis für die Bedeutung von Weideland und Pastoralisten für die Ernährungssicherheit, die Wirtschaft, die Umwelt und das kulturelle Erbe verbessern, Wissenslücken über Weideland und Pastoralisten schließen helfen und eine evidenzbasierte Politik und Gesetzgebung fördern, die eine nachhaltige Weidewirtschaft in den Weidelandschaften ermöglicht. 

By Jpmgir - Own work: appareil numérique bon marché, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8287487

Was bedeutet eigentlich Biodiversität und warum ist sie so wichtig?

 Als Biodiversität bezeichnet die Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen die Vielfalt aller lebenden Organismen, Lebensräume und Ökosysteme auf dem Land, im Süßwasser, in den Ozeanen sowie in der Luft. Biodiversität beinhaltet

  • die Vielfalt unterschiedlicher Arten als auch innerhalb einer Art (taxonomische Diversität)
  • die genetische Vielfalt innerhalb einzelner Arten sowie die Diversität aller Organismen eines Lebensraums (genetische Diversität)
  • die Vielfalt an Biotopen und Ökosystemen sowie an Ökosystemfunktionen wie Bestäubung und Samenverbreitung (ökologische und funktionale Diversität)
  • die Vielfalt an Verhaltensweisen von Tieren (kulturelle Vielfalt)

Biodiversität ist das Rückgrat des Lebens. Sie ist für den Menschen ebenso wichtig wie für den Umwelt- und Klimaschutz. Sie versorgt uns mit Nahrung, Süßwasser und sauberer Luft und spielt eine wichtige Rolle bei der Wahrung des natürlichen Gleichgewichts. Sie trägt dazu bei, den Klimawandel aufzuhalten und verhindert die Ausbreitung von Infektionskrankheiten.

Nach Angaben des Weltwirtschaftsforums hängt knapp die Hälfte des weltweiten BIP (rund 40 Billionen €) von der natürlichen Umwelt und ihren Ressourcen ab. 

Menschliche Tätigkeiten, die Lebensräume verschmutzen und verändern, sowie der Klimawandel belasten Arten und Ökosysteme. Nach Schätzungen von Wissenschaftlern sind derzeit weltweit eine Million Arten von Pflanzen, Insekten, Vögeln und Säugetieren vom Aussterben bedroht. Täglich sterben bis zu 200 Arten aus!

Die EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 ist der Eckpfeiler des Naturschutzes in der EU und ein Schlüsselelement des europäischen Grünen Deals. Man kann nur hoffen, dass die europäischen Staaten diese Strategie ernst nehmen und umsetzen und es nicht nur schön bedrucktes Papier bleibt. Die Zeit drängt!eigentlich

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