„Mehr als irgendwo sonst in der islamischen Welt gab es in al-Andalus Ansätze zur Überwindung engstirniger Dogmen, der Unterdrückung der Frau, der Ausgrenzung andere Religionen. ….. Mehr als irgendwo sonst durchdrangen sich islamische, jüdische und christliche Kultur in einer fruchtbaren Symbiose. Über das muslimische Spanien sind unzählige Bücher publiziert worden, wobei der Tenor gemäß dem Blickwinkel von einer Verklärung der arabisch-berberischen Herrschaft bis zur Heroisierung des christlichen Kampfes gegen die Invasoren aus Nordafrika reicht. Aber die Schablone „Islam kontra Christentum“ lässt sich für die meisten der Ereignisse nicht so einfach anwenden, ebenso wenig der Kampf der Kulturen oder die Reconquista als reiner Kreuzzug oder heiliger Krieg, eine Vorstellung, die aus einer viel späteren Epoche stammt und meist aus politischen und propagandistischen Zwecken beschworen wird. Der wichtigste Bezugspunkt für die soziale Identität ist sicher die religiöse Gemeinschaft, aber es gibt auch noch andere Faktoren wie Machtbedürfnis, wirtschaftliche Dominanz, gesellschaftliches Überlegenheitsgefühl u.a., die eine Rolle spielen.
Wie oben schon aufgezeigt, gibt es zwischen 711 und 1492 nicht pausenlos religiöse Kriege, Muslime und Christen leben auf der iberischen Halbinsel sehr viel länger in Friedens- als in Kriegszeiten und sie kämpfen nicht nur gegen den äußeren Feind, sondern auch sehr häufig gegen die eigenen Feinde im Innern. Die christlichen Reiche bekämpfen sich oft erbittert, und immer wieder müssen sich deren Fürsten gegen aufsässige Adelige zur Wehr setzen – eine Strukturschwäche, die schon das Westgotenreich plagte.
Die muslimischen Herrschaften dagegen leiden unter den lang tradierten arabischen Clanrivalitäten, überlagert von der oft an Feindschaft grenzenden Herablassung gegenüber den als minderwertig angesehenen Berberstämmen, ohne deren Kampfkraft jedoch al-Andalus weder erobert noch so lange hätte gehalten werden können. Die Angehörigen der muslimischen Eliten sind auch zu Bündnissen mit christlichen Lokalmächten bereit, selbst dann, wenn sie gegen ihre Glaubensbrüder gerichtet sind. Die Realpolitik triumphiert zumindest am Anfang der Eroberung Spaniens über die religiöse Identität. Politische Auseinandersetzungen finden nicht nur entlang religiöser Grenzlinien, sondern ebenso oft auch innerhalb der muslimischen und der christlichen Gemeinschaften statt. Allerdings führt der Niedergang des Kalifats, das eine wirtschaftliche und kulturelle Blüte in Spanien hervorgerufen hat, zur Errichtung von Teilreichen, welche sich letztlich durch gegenseitige Reibereien erschöpfen und so selbst den Grundstein zur späteren Rückeroberung durch die christlichen Herrscher legen.
Die sogenannte Reconquista verläuft ebenfalls nicht geradlinig, es gibt vielmehr wechselnde Allianzen sowohl zwischen christlichen als auch muslimischen Herrschern. Ähnlich wie bei den westeuropäischen Staaten kommt es zu stärkeren Machtbildungen, welche dann jeweils durch schwächere Herrscher oder Todesfälle in Frage gestellt werden. Erst als die christlichen Reiche durch Erbfolge mit einander verbunden werden, können sie ihre Machtdominanz vergrößern.
Und was die Bevölkerung betrifft, so ist sie in den von Mauren eroberten Gebieten noch lange christlich, nur die Oberschicht war zunächst muslimisch, wobei viele Westgoten zum Islam übertreten, um ihren Besitz und z.T. auch ihre Macht behalten zu können. Sie müssen aber die Autorität der muslimischen Oberherren anerkennen. So finden die Eroberer schnell willige Verbündete. Außerdem sind die islamischen Herrscher bei der Verwaltung der neuen Territorien auf die Kollaboration der Bevölkerung angewiesen. Sie sind sowohl auf die Zusammenarbeit mit Verwaltungsbeamten und Richtern angewiesen wie auch auf die Kooperation der Kirche und des Klerus, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Da aber der landbesitzende Adel, der für die von ihnen abhängige Bevölkerung Kirchen baut, immer mehr zum Islam übertritt, gibt es immer weniger Seelsorger, Kirchen verfallen und werden aufgegeben. So treten allmählich mehr und mehr christliche Bewohner zum Islam über. Bis 840 ist rund ein Drittel konvertiert. Die Konversion spielt langfristig bei der Islamisierung der iberischen Halbinsel eine wichtige Rolle. Die damit z.T. verbundene Akkulturation ist so tiefgreifend, dass andalusische Christen, die im 11. Jh. nach Nordspanien kommen, Mozaraber genannt wurden. Zudem wird ein Netzwerk von Verbindungen geknüpft, bei denen es zu zahlreichen Eheschließungen zwischen Muslimen und Christen kommt, obwohl dies eigentlich von beiden Religionen untersagt ist. Unter den stark religiös motivierten Herrschern der Almoraviden (1091-1145) und Almohaden (1145-1236) verschwindet die christliche Minderheit dann aber zum großen Teil aus dem verbleibenden islamischen Herrschaftsbereich.
Was die christlichen Herrscher betrifft, so vertreiben sie die Muslime in der Regel nicht aus den Gebieten, die sie erobert haben. Sie versuchen vielmehr, sie zum Bleiben zu bewegen, meist mit Erfolg. Denn ein Großteil der Muslime, deren Ahnen ja schon in Spanien gelebt haben, ziehen ein Leben im „Heimatland“ einer Flucht vor, wenn sie damit auch Untertanen ungläubiger Könige werden. Und die christlichen Herrscher schätzen die wirtschaftlichen und künstlerischen Fähigkeiten der Muslime. Diese Haltung endet aber mit der Eroberung des Nasridenreiches und letztendlich mit der Vertreibung der Juden und Muslime im Jahre 1614.
Georg Bossong bewertet die Situation so:
-Andalus wurde zerrieben zwischen christlichem und islamischem Fundamentalismus…. Es kam zum gnadenlosen Kampf zwischen einem europäischen radikalisierten Christentum und einem afrikanisch radikalisierten Islam, Kreuzzug gegen Djihad.“
Wer an Romanen über die Zeit der Reconquista und die unmittelbaren Folgen danach interessiert ist, dem sind u.a. die folgenden Historienromane zu empfehlen.
Frank Baer, Die Brücke von Alcantara, München 2015: Spannender Historien-Roman. Der Leser gewinnt einen guten Einblick in das Leben der Mauren, Christen und Juden im 11. Jh. und in die politischen Zusammenhänge zur Zeit der spanischen Reconquista. Es ist ein Gemälde der Zeit zwischen 1063 und 1086.
Noah Gordon, Der Medicus von Saragossa, München 2000. Die Handlung beginnt mit dem Jahr 1492 in Spanien. Der Roman ist spannend zu lesen und vermittelt einen Eindruck von den damaligen Konflikten zwischen Christen, Mauren und Juden und dem Einfluss der Inquisition auf das Leben in Spanien.
Tariq Ali, Im Schatten des Granatapfelbaums, München 1994. Der Roman von Tariq Ali beschreibt das Leben im maurischen Andalusien um 1490 in Granada. Die Familiengeschichte vor den Hintergrund politischer Umwälzungen ist spannend zu lesen und führt den Leser in eine verschwundene Welt. Viele historische Informationen werden nebenbei vermittelt. Die Reconquista steht kurz vor ihrer Vollendung und unterdrückt und zerstört eine vergleichsweise weltoffene reiche Kultur, die aus der Koexistenz von Islam, Judentum und Christentum entstanden ist.
Lea Korte, Die Maurin, München 2010. Der Roman spielt in der Zeit zwischen 1478-1491 im maurischen Andalusien vor allem in den Städten Granada, Sevilla und Cordoba. Er erzählt die Geschichte einer maurischen Hofdame, die in ein grausames Spiel aus Intrigen und rücksichtslosen Machtkämpfen hineingerät.
Catlos, Brian, al Andalus: Geschichte des islamischen Spanien, München 2019
Jaspert, Nikolas, Die Reconquista: Christen und Muslime auf der iberischen Halbinsel, München 2019