Französische Romanik

auf der Via Podiensis

Wenn wir auf der Via Podiensis gehen, begegnet uns kunstgeschichtlich gesehen auf Schritt und Tritt die französische Romanik. Viele Kirchen auf unserem Weg, die wir vor allem auch wegen ihrer schlichten Schönheit bewundern, stammen aus der Zeit der Romanik. Trotz zahlreicher Kriege auch in diesem Landstrich aber auch auf Grund der sicher teilweisen prekäreren wirtschaftlichen Situation in dieser Region sind noch viele Kirchen in ihrer ursprünglichen Struktur erhalten. In anderen Gebieten wurden häufig die alten romanischen Kirchen abgerissen bzw. manchmal sind sie auch abgebrannt. An ihrer Stelle wurden dann prachtvollere gotische Kirchen errichtet. Die alten romanischen Krypten legen häufig noch Zeugnis ab von der früheren Geschichte der Kirche.

1. Geschichtliche und soziale Rahmenbedingungen

Bei der Betrachtung der Romanik soll nicht nur der kunstgeschichtliche Aspekt zum Tragen kommen, sondern ich will auch zum besseren Verständnis der Romanik einige geschichtliche und soziologische Hintergründe kurz erläutern. Denn sie vermitteln wertvolle Erkenntnisse über die gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge, in denen vermeintliche Einzelerscheinungen erst ein nachvollziehbares Gesamtbild ergeben.

1.1. Bevölkerungspolitische Situation

Nach dem Zerfall des Fränkischen Reiches in ein östliches und westliches Gebiet  (843 , Vertrag von Verdun) und dem Ende der Karolinger Königslinie um 980 kam es zu einer Stabilisierung der politischen Lage in Europa. Zusätzlich fand eine Klimaerwärmung statt. In dem Zeitraum, in dem man diese mittelalterliche Warmperiode verortet (900 – ca. 1400), kam es in Europa zu einer regelrechten Bevölkerungsexplosion, man geht von einer Verdreifachung der Bevölkerung zwischen 1100 und 1400 aus. In Folge der günstigen Klimabedingungen kam es zu einer Expansion der Agrarwirtschaft, vor allem des Getreideanbaus. Die Klimabedingungen gelten aber nicht als die alleinige Ursache für den rasanten Anstieg der Bevölkerung – sondern es gab gleichzeitig agrarkulturelle Fortschritte bei der Nutzung technischer Geräte, bei der Bodennutzung und bei der Diversifizierung von Getreidearten.
In diesem Gesamtkontext entwickelte sich dann auch das gesellschaftliche und religiöse Leben weiter. Der Feudalismus prägte die damalige politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Ordnung. Der König, der Adel und die Kirche waren die Grundbesitzer und bildeten die führende Schicht. Ihnen gehörten die Ländereien und sie gaben bestimmte Rechte und Ländereien (Lehen) an ausgewählte Untertanen für treue Dienste weiter. Neben der Schicht der „Herrschenden“ gab es den Stand der „Diener“, der sich aus wenigen freien Bauern und dem überwiegenden Teil der Unfreien zusammensetzte. Sie waren von ihren Herren  fast vollständig abhängig.
In der zweiten Hälfte des 12. Jhs. bildete dann sich aus den Unfreien eine neue Bevölkerungsschicht heraus, die Bürger. Diese lebten in den von Königen und Fürsten angelegten Städten und waren zu keinen Diensten und Abgaben verpflichtet. „Stadtluft macht frei!“ Allerdings kann man keineswegs von einer politischen oder kulturellen Einheit sprechen. Das Land war zersplittert in zahlreiche Fürstentümer. Zwar  konnten die Karpetinger  ab Beginn des 11. Jh. ihren Anspruch auf die Krone behaupten, aber ihre wirkliche Macht konnten sie nur auf der Ile de France  durchsetzen, während ihre Vasallen – die Herzöge von Burgund, Aquitanien, Normandie oder Bretagne – viele Hoheitsrechte in ihren Gebieten wahrnahmen. Erst ab dem frühen 12. Jh. konnte die Krone ihre Position gegenüber den Herzögen stärker ausbauen. Am Ende des 100- jährigen Krieg gelang es dem französischen König dann nach vielen sehr wechselhaften Auseinandersetzungen mit der englische Krone, die zeitweise fast die Hälfte des französischen Kronlandes als Lehen besaß, seine Zentralmacht durchzusetzen.
Dies hatte auch entscheidende Bedeutung für die kulturelle Entwicklung. War in Zeiten der Romanik das Land noch zersplittert, so spiegelte sich dies auch in den unterschiedlichen Kulturlandschaften wieder. So weist die französische Romanik trotz vieler Gemeinsamkeiten auch sehr unterschiedliche regionale Konturen auf. Mit der Zentralisierung gaben auch die Kunstlandschaften Frankreichs ihre Eigenständigkeit auf und so konnte sich kunsthistorisch die Gotik landesweit mit sehr einheitlichen Strukturen durchsetzen.

1.2. Religiöse Bewegungen

Was nun das religiöse Leben betrifft, so wurde im 4. Jh. das Christentum zur Staatskirche erhoben. Damit einher ging eine zunehmende Verweltlichung des Christentums, so dass es als Gegenbewegung zu dieser Entwicklung zu einem Aufschwung des Mönchtums kam. Das Mönchtum – also die Gemeinschaft von Mönchen-  entwickelte sich aus dem Einsiedlertum, d.h. dem Rückzug Einzelner in ein in Einsamkeit und Askese geführtes Leben, das zunächst im 4. Jh. und 5. Jh. verbreitet war. Daraus entstand erst langsam auch ein organisiertes klösterliches Mönchtum.  Die Gestalt und Organisation dieser Bewegungen fanden ihre Basis und Vereinheitlichung in den Klosterregeln des Benedikts von Nursia um 540. Seit ihrer Verfassung ist sie die Grundlage des Ordens der Benediktiner. Da diese Regeln nicht alles, was das Leben im Kloster betraf,  festhielten, wurden sie durch Consuetudines – Ausführungsbestimmungen – ergänzt, die allerdings von Kloster zu Kloster variierten. Die Verbindung zwischen Kloster und Kirche wurde im Konzil von Chalcedon 451 in der Form geregelt, dass die Klöster den bischöflichen Diözesen, in denen sie sich befanden, unterstellt wurden. Den Bischöfen wurde zudem das Recht zugestanden, in ihren Amtsbereichen (Diözesen) Klöster zu gründen und Aufsicht über sie zu führen.

1.3. Bedeutung der Klöster für die Baukunst und die Gemeinschaft

Mit den oben beschriebenen Entwicklungen ging eine intensive Entwicklung der romanischen Baukunst einher. Zwischen 1050 und 1350 (Romanik und Gotik) wurden in Frankreich mehr Steine gebrochen als in der ganzen Zeitperiode des alten Ägyptens – genug um 80 Kathedralen, 500 große Kirchen und Zehntausende von Gemeindekirchen zu errichten. Die Romanische Kunst ist eng mit dem Mönchtum verbunden, so dass ihre Sakralbauten die wichtigsten Zeugnisse dieser Epoche sind. Zunächst waren es vor allem die Benediktiner und später die Zisterzienser, die viele dieser Sakralbauten in Frankreich errichteten. Dabei waren die Kirchen und Klöster nicht nur Ausdruck der sakralen und politischen Macht, sondern sie waren auch Lehrstätten und wichtige Verbreiter des christlichen Glaubens. Die Klöster waren Förderer der Architektur und Kunst und trugen durch Schulgründungen zur Ausbildung der Bevölkerung bei. Sie errichteten große Bibliotheken, in denen alte Bücher archiviert und neue Bücher geschrieben wurden. Neben der Schriftkunst und der Kunst gab es weitere Aspekte von besonders wichtiger Bedeutung für die säkulare Welt u.a. die Weiterentwicklung der Landwirtschaft, der Weinbau, die Medizin und Kräuterkunde sowie die Optik. Auch die Armen- und Krankenfürsorge muss besonders erwähnt werden. Zudem trugen die Mönche durch ihre zahlreichen Reisen durch Europa zur Verbreitung von  Nachrichten und Wissen von Kloster zu Kloster bei. Des Weiteren bildeten die Klöster für die steigende Zahl der Pilger  wichtige Anlaufpunkte. Sie dienten vorwiegend der Unterkunft, wurden aber auch als Hospitäler genutzt, da die Mönche wie oben erwähnt nicht nur Lehrer und Seelsorger waren, sondern auch Ärzte.

1.4. Pilgerreisen

Die Pilgerreisen waren für viele Menschen im Mittelalter ein fester Bestandteil des religiösen Lebens, obwohl das Reisen damals  beschwerlich und gefährlich war. Da die Pilger keine Waffen tragen durften, wurden sie durch Raub, Betrug, Mord oder Versklavung bedroht. Der Wunsch, eine Pilgerreise zu unternehmen, war gleichermaßen in allen gesellschaftlichen Schichten sowie bei Männern und Frauen vorhanden. Man kann sicher von einem Massenphänomen sprechen, in dessen Folge es zur Ausbildung bedeutender Pilgerwege kam,  vor allem zu den großen Zielorten Jerusalem, Rom oder eben Santiago de Compostela.
Die Entdeckung des Jakobusgrabes in Santiago de Compostela im Jahr 818 war ein Ereignis von besonderer Bedeutung . Anfangs besuchten nicht so viele Pilger das Grab, aber als die Cluniazenser 100 Jahre später begannen, die Pilgerfahrt systematisch zu organisieren, erlebte die Wallfahrt nach Santiago de Compostela einen raschen Aufschwung, der im 12. Jh. seinen Höhepunkt erreichte.
In Frankreich bildeten sich damals vier große Pilgerrouten heraus. Die eine führte über St. Gilles (in der Nähe von Arles), Montpellier, Toulouse und den Somport-Pass. Sie wird als Via Tolosana bezeichnet und wurde vor allem von Pilgern aus Italien genutzt. Die zweite ging von Le Puy über Conques, Cahors, Moissac zu den Pyrenäen. Vor allem Pilger aus Osteuropa und Süddeutschland nutzten diese Via Podiensis. Die dritte lief von Vezelay aus und führte über Charite-sur Loire, Limoges zu den Pyrenäen, die sogenannte Via  Lemovicensis. Die vierte Route ging von St. Denis in Paris  (bzw. Paris) über Tours, Poitiers,  Saintes und Bordeaux zu den Pyrenäen. Auf der Via Touronensis zogen vor allem Pilger aus den heutigen Benelux-Staaten in den Süden. Die letzten drei Wege nahmen den Weg über den Cisa-Pass durch die Pyrenäen nach Roncesvalles.  Ab Roncesvalles oder ab dem Somport-Pass führte dann der Weg, der sogenannte Camino frances, durch Nordspanien nach Santiago de Compostela.
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ways_of_St._James_in_Europe.png

1.5. Reliquienkult

Die Anziehungskraft von Santiago de Compostela  aber auch vieler anderer Zwischenstationen auf den Wegen ist nur mit der Bedeutung der Reliquien im Mittelalter zu erklären. Die Berührung der Reliquien ermöglichte in der Wahrnehmung der Pilger die Chance, für einen Augenblick der unsichtbaren Jenseitswelt teilhaftig zu werden. Es besteht zwar nach heutigem Wissensstand kein Anhaltspunkt für die Vermutung, dass Jakobus sich tatsächlich auf der iberischen Halbinsel aufgehalten hat noch dass seine Gebeine nach Spanien gebracht wurden, aber die Behauptung dieser Tatsache in Urkunden gekoppelt mit einer gezielten Propaganda taten bald ihre Wirkung. Außerdem unterstrich der vermeintliche Fund des Grabes des Apostels den Machtanspruch der katholischen Kirche und stärkte das im Norden Spaniens entstandene Königreich Asturien,  das sich langsam in das von Mauren besetzte Spanien ausdehnte.
Mit der steigenden Zahl der Pilger nahm auch der Reliquienkult immer größere Ausmaße an. Eine Stätte mit einem Heiligengrab zog mehr Pilger an als eine ohne Reliquien. Sie erlangte dadurch größere Bedeutung, was in der Regel einen finanziellen Aufschwung zur Folge hatte. Dadurch konnten wiederum prächtigere Bauten errichtet werden, die dann wiederum mehr Wallfahrer anzogen.  So sind  z.T. auch die vielen kunsthistorisch wertvollen Bauten und Steinmetzarbeiten aus jener Zeit zu erklären. Die Summen,  die der Reliquienkult z.B. dem Kloster in Conques einbrachte, machten einen guten Teil der Einkünfte der Abtei aus.  Das imposante Jakobinerconvent mit der großen Basilika in Conques legt Zeugnis ab über den Reichtum der Abtei. Die Klöster gewannen auch dadurch an Reichtum, dass ihnen viele Menschen ihren Besitz übertrugen in der Hoffnung, dass die Mönche durch Gebete ihren Übergang vom Fegefeuer in die ewige Glückseligkeit beschleunigten.
Da die Organisation dieser Massenbewegung in den Händen der Klöster lag, wurde die Breitenwirkung der Ordensgemeinschaften weiter gestärkt. Die Pilger führten ein Itinerar mit sich, das ihnen den Weg zu den Stationen auf ihrer Route wies. Darin enthalten waren auch Hinweise auf Umwege zu Gotteshäusern sowie Hinweise auf Hospitäler und andere karitative Einrichtungen, die wiederum ausnahmslos von  Klöstern betrieben wurden. So findet man auch heute noch entlang der oben beschriebenen Pilgerwege trotz zahlreicher Zerstörungen ein dichtes Netz an romanischen Kirchen. Viele dieser romanischen Kirchen vermitteln einen Eindruck von Frieden und Geborgenheit, deren Wirkung der damalige aber auch der heutige Pilger – gerade nach manchen Mühsalen des Weges  – verinnerlichen kann. Aus dem Beschriebenen erkennt man die Kraft der Pilgerschaft. Religiosität, wirtschaftliche Aspekte und Baukunst beeinflussen sich gegenseitig erfolgreich und gleichzeitig wird in einem von Unruhen gezeichneten Europa eine Brücke über alle sprachlichen und politischen Grenzen geschlagen.

1.6. Entwicklung der Bauschulen

Aber nicht jede Gemeinde, jeder Orden, jeder Stifter, die eine neue Kirche, ein Kloster oder gar eine Kathedrale errichten wollten, konnten sich eigene Bauschulen mit angegliederten Werkstätten und fähigen Baumeistern leisten. Da man erst gegen Ende der romanischen Epoche dazu überging, maßstäblich verkleinerte Baupläne zu erstellen, gab es vorher wenige schriftlich fixierte Quellen, aus denen man sein Wissen über solch große Bauwerke hätte holen können. Lediglich einige der Maurer und Steinmetze, von denen viele im Laufe der Zeit durch ihre Erfahrung zu angesehenen Baumeistern wurden, hielten ihre Ideen und Bilder in Musterbüchern fest, um sie den Auftraggebern als Anregung wie auch als eine Art Vertragsgrundlage zu präsentieren. Viele der qualifizierten Baumeister reisten von Baustelle zu Baustelle und nicht selten betreuten sie mehrere Großbaustellen gleichzeitig. So entwickelten sich entlang der großen Pilger- und Handelsstraßen Bauschulen mit stilistischen Eigenarten heraus, deren Handwerker und Baumeister aber immer in regem Austausch mit anderen Baukünstlern standen und so letztendlich die typisch romanischen Baumerkmale verbreiteten.

2. Baukunst

2.1. Typische Elemente der sakralen romanischen Baukunst

Der Begriff der „Romanik“ leitet sich von dem Wort „romanesque“ ab, das der Franzosen Charles Gerville (1769–1853) im Jahr 1818 wählte, um auf die Verwandtschaft der Romanik zur römischen Architektur hinzuweisen. Man unterteilt die Romanik in Frankreich dabei in die Frühromanik (1000-1080) und die Hochromanik (1080-1150).
Die Urform des romanischen Kirchenbaus orientiert sich an einem typisch römischen Profanbau: der Basilika. Die Kirche hat somit als Vorbild einen antiken Herrscherbau und sollte so zeigen, dass nun Christus der Herrscher ist. Die Form besteht meist aus einem mittleren Hauptschiff und zwei z.T. niedrigeren Seitengängen (Seitenschiffen). Hinzugefügt wurde mit der Romanik das Querschiff, das dem Grundriss die Form eines lateinischen Kreuzes verleiht. Das Kreuz galt als Hauptzeichen des Christentums. Zudem ist die Kirche in W-O-Richtung ausgerichtet. Zum einen war ja das Grab Christi vom Abendland aus gesehen im Osten. Zum anderen spielt das Licht eine besondere Rolle. Da im Osten die Sonne aufgeht und somit „Licht in die Dunkelheit“ bringt, liegt der wichtigste Teil der Kirche, der Chor, im Osten. Im Westen befindet sich die häufig prunkvolle Fassade mit meist drei Portalen und mit einem oder zwei Türmen.
Die Mauern tragen die ganze Last der Gewölbes und des Daches. Deshalb sind diese auch  so dickwandig angelegt. Sie sollten auch möglichst wenig durch Öffnungen wie Fenster und Portale geschwächt werden. Die gewölbten Tür und Fensteröffnungen wurden also nicht nur aus ästhetischen Gründen gewählt. Die Rundungen haben vor allem eine große Bedeutung für die Statik. Durch die Aneinanderreihung der Bögen wird eine Wölbung gestaltet, die den Druck des darauf lastenden Daches abfängt und eine Einsturzgefahr verhindert oder zumindest stark minimiert. Je grösser die Bögen, umso massiver müssen die Stützen und Wände sein. Dadurch entsteht bei diesen Sakralbauten ein massiges, blockartiges, schweres und wuchtiges Erscheinungsbild.
In der Frühromanik findet man meist noch flache Kassettenholzdecken.  Die Einwölbung der Kirchenräume war aber das Ziel der romanischen Baukunst. Dieses Ringen um die Techniken bei der Wölbetechnik hat zum einen formale und ästethische Gründe zum anderen den Wunsch nach größerer Stabilität der Bauwerke, vor allem ein besserer Schutz vor Feuer, das häufig die hölzernen Konstruktionen aus vorromanischer Zeit zerstört hatte. So bildeten sich  bald zwei Gewölbeformtypen aus: das Tonnengewölbe und das Kreuzgratgewölbe. Die Konstruktion eines Tonnengewölbes war die einfachste Art eine Längswölbung und wurde deshalb zuerst angewandt. Zunächst wölbte man nur den Chor, später wie in Conques z.B. die ganze Kirche. Zeitlich parallel entwickelte sich das so genannte Kreuzgratgewölbe, das aus zwei sich einander rechtwinklig überschneidenden Tonnen besteht. Die Schnittstellen der beiden werden als Grate bezeichnet. Fast von Anfang an bemühte man sich um Hilfskonstruktionen in Gestalt von Bogen, die die Kreuzgrate unterstützten. Der nächste Schritt war dann, diese Bogen sichtbar zu machen und so entstand letztendlich das Kreuzrippengewölbe, welches zum wesentlichen Merkmal der gotischen Baukunst wurde.
Mittelschiff Klosterkirche Ste-Foy Conques
Mittelschiff der Klosterkirche Ste-Foy in Conques // Quelle: Wikipedia
Die Ausbildung dieser Gewölbeform war eine enorme Leistung mittelalterlichen Bauhandwerks. Zunächst zumindest arbeitete man ohne Baupläne und verlies sich auf die Erfahrung der Baumeister. Beim Errichten der Gewölbe wurden als Gerüst hölzerne Lehrbögen verwendet, die nach dem Setzen des Abschlusssteins wieder entfernt wurden. Dies war der entscheidende Moment, denn entweder hielten  Gewölbe und  Mauern den Seitenschüben und die Lasten stand oder alles fiel, einem Kartenhaus gleich, in sich zusammen. Monate-, oft jahrelange harte Arbeit wäre dann zunichte gemacht.
Die durch die Rundbögen erzielte Wölbung musste im Innenraum zusätzlich stabilisiert werden. Aus dieser Notwendigkeit entwickelte sich ein weiteres ästhetisches Merkmal der romanischen Architektur, der Stützwechsel. Die sich abwechselnden Säulen und Pfeiler, die als Stützen dienten, ließen zudem viel Freiraum für die Versammlung der Gläubigen, u.a. der großen Zahl an Pilgern innerhalb der Kirche. Während die Säulen die Gewölbelast abfingen, dienten die Pfeiler zur statischen Absicherung der Räume.
Zusätzlich zu den statischen Elementen müssen als sehr wichtige Elemente der Romanik die zahlreichen Verzierungen der Portale und Außenwände genannt werden. Man geht davon aus, dass die Arbeit der Steinmetze von  handwerklichem Können aber auch von spirituellen Empfindungen getragen wurde.  Viele dieser Künstler waren Mönche, die in den Werkstäten der Klöster ausgebildet wurden. So erklären sich  die kunstvollen, eindringlichen und berührenden  Ausschmückungen  in den verschiedenen Kirchen innen und außen sowie in den Kreuzgängen.

2.2. Entwicklung der regionalen Unterschiede

Trotz der typischen baulichen Elemente der Romanik lassen sich auch zahlreiche bauliche Unterschiede herausarbeiten.

Unten Karte der wichtigsten romanischen Kirchen in Frankreich aus; Raymond Oursel, Romanisches Frankreich, Zodiaque 1993

Diese lassen sich u.a. anhand der politischen Situation in Frankreich erklären. Zwar gab es den französischen König, der in Paris residierte und regierte, allerdings hatte er  nur wenig Einfluss auf seine adligen Vasallen. Diese verwalteten, fernab ihres Königs, recht eigenmächtig die ihnen unterstellten Gebiete und versuchten beständig, ihre Macht zu mehren. So wurde der Süden des Landes beispielsweise von den Grafen von Toulouse und den Herzögen Aquitaniens kontrolliert. Im Norden hingegen entstand unter dem Herzog der Normandie und Grafen von Anjou ein weiterer mächtiger Vasall des französischen Königs. Die Versuche, sich politisch von der Ile-de-France abzugrenzen, führten zu einer bewussten gesellschaftlichen Eigenständigkeit einzelner Gebiete, was sich auf die Kultur und damit auch auf die Baukunst der Regionen übertrug.
Die Romanik in Frankreich ist also weniger eine national homogene Epoche, sondern vielmehr ein Konglomerat verschiedener regionaler Stile, die sich im Laufe der Zeit gegenseitig beeinflusst und dadurch auch einander angeglichen haben. Da die Steinmetze aber – wie oben beschrieben – ihre Arbeiten in einem doch relativ begrenzten Raum verrichteten, zeigten einzelne Regionen jeweils ein etwas anderes Gesicht. So unterscheidet man in der Kunstgeschichte – was unseren Pilgerweg betrifft – eigene romanische Baustilrichtungen der Auvergne und Aquitaniens.
In der Auvergne finden sich zahlreiche Emporenhallen-Kirchen. Im strengen Sinne handelt es sich um Staffelhallen, weil ihre Mittelschiffe höher sind als die Emporengewölbe der Seitenschiffe. Diese Bauten sind oft im Mittelschiff tonnen- und in den Seitenschiffen Kreuzgrat gewölbt. Sie besitzen ein recht ausladendes Querhaus zwischen Langhaus und Chor, dessen Seitenschiffe mit unterschiedlichen Tonnenwölbungen ausgestattet sind. In der Literatur spricht man auch von einem “auvergnatischen Querriegel“.
In Aquitanien handelt es sich häufig um Kuppelkirchen ohne Seitenschiffe, deren Mittelschiff dafür aber umso breiter ist und der Länge nach von zwei bis vier Kuppeln ohne hölzernen Dachstuhl gedeckt wird.
In Südwestfrankreich mischen sich die Bauformen der angrenzenden Landschaften. Aber meist herrschen hier noch die Emporenhallen vor. Die Empore mit Vierteltonne als Gewölbeversteifung findet sich zuerst in Conques und in Toulouse in der größten noch erhaltenen romanischen Kirche der Welt, St.-Sernin.
Erst in der Gotik  (bereits ab Mitte des 12. Jh. in Frankreich, in Deutschland erst später) entwickelte sich ein eher einheitlicher Stil ausgehend von Paris, bedingt auch durch die größere Bedeutung des französischen Königs (vgl. auch die Geschichte des 100jährigen Krieges) und die damit verbundene Zentralisierung der Landes.
Neben den regionalen Unterschieden ist zusätzlich jede romanische Kirche in ihrer Gestaltung einzigartig. Das ist zum einen bedingt durch kirchliche Strömungen. So sind die Kirchen der Zisterzienser auf Grund ihrer religiösen Einstellung in der Regel schlichter gehalten als die der Benediktiner. Zum anderen wirkten sich die künstlerischen Einflüsse in den verschiedenen Bauschulen, die unterschiedlichen geologischen Gegebenheiten des Baugrundes (Flachland oder Felsenklippe) und das unterschiedliche Baumaterial, das zur Verfügung stand (z.B. harter Granit, weicher Kalk – und Sandstein oder Pyrenäenmarmor)  auf die Gestaltung der Sakralbauten aus. Im Mittelalter galt ja das Regionalprinzip, das heißt, man baute mit den Materialien, die einen in der näheren Umgebung zur Verfügung standen und vermied so i.d.R. lange Transportwege.

2.3. Die Skulptur der Romanik - Bildhauerkunst der Steinmetze

Viele der Steinmetze, die ja wahre Kunstwerke errichteten, haben sicher nicht daran gedacht, dass ihre Werke „für die Ewigkeit“ gebaut sind und auch heute noch – ca. 1000 Jahre später – mit ihrer Schönheit begeistern.  Viele Elemente erscheinen uns geradezu modern, vor allem die klare Gliederung, die graden schlichten Linien und die einfachen figürlichen Darstellungen. So faszinieren uns nicht nur die großen Kathedralen sondern gerade auch die kleinen romanischen Dorfkirchen und es lohnt sich auf unserem Weg, auch diesen einen Besuch abzustatten.
Es ging den Steinmetzen und Baumeistern weniger um den eigenen Ruhm – sondern um die Ehre Gottes. Die Namen der Stifter, Domherren oder Bischöfe kennt man durch zahlreiche schriftliche Quellen, während über Steinmetze und Baumeister der Romanik heute fast nichts bekannt ist, da sie ihre Werke in der Regel nicht signierten. Dabei waren sie – auch die Steinmetze auf dem Lande – wahre Meister ihrer Kunst. Im Mittelalter hatte der Künstler als Einzelpersönlichkeit keine Bedeutung. Es waren ohne Zweifel hervorragende Handwerker und gesuchte Leute bei den Auftraggebern aber in gewisser Weise zumindest für uns heute  gesichtslos.
Neben der baulichen Gestaltung hatten sie mit ihrer Arbeit den Auftrag, den Menschen das Evangelium näher zu bringen. Denn die Menschen vor allem auf dem Lande hatten meist keine Schulbildung und konnten weder schreiben noch lesen. So erzählen die verschiedenen Darstellungen – seien es die herrlichen Steinmetzarbeiten an den Portalen oder die Bilder an den Wänden der Kirche – Geschichten aus dem alten und neuen Testament. Dadurch wurde von den Mönchen und Künstlern eine neue bildhafte Erzählweise geschaffen. Während allerdings die Malerei der Romanik von geringerer künstlerischer Bedeutung war –  körperlose Darstellungen  und fehlende räumliche Perspektive dominierten – , entwickelte sich die Skulpturendarstellung  zu  einem  beeindruckenden Bauelemente der Romanik. Die romanische Plastik bot den Künstlern durch die dritte Dimension  die Chance, einen lebendigen und starken Ausdruck zu kreieren. Die außergewöhnliche Leistung beruht  auf der Fähigkeit, die Figuren immer mehr als Körper zu begreifen. Waren die ersten Arbeiten noch eher flache Reliefs, so scheinen die Figuren der späteren Werke aus der Wand herauszuwachsen und die ganze Architektur zum Leben zu erwecken. Ihre Schöpfer hatten sich im Laufe der Zeit aus Steinmetzen zu beeindruckenden Bildhauerpersönlichkeiten entwickelt.
Die Plastiken strebten nicht nach realistischen Darstellungen und Proportion, sondern hatten einen meist christlichen Symbolgehalt zu erfüllen. Dramatische Szenen, dämonische Gesichter und Fratzen, eine starke Faltenausprägung der Gewandfigur sollten das Auge fesseln. Der ausgeprägte Kontrast zwischen Symbolen für Gutes und Böses war durchaus gewollt und berechnet. Das Ziel der Bauplastiken – zunächst vor allem an Fassaden und Portalen, später auch im Innenraum –  war es einerseits die Geschichten des alten und neuen Testaments wiedergeben und andererseits den bösen Mächten den Zugang zur Kirche verwehren. Denn in der damaligen Vorstellung befand sich der Mensch permanent im Kampf zwischen heiligen und dämonischen Kräften. Betrachtet man die Gestaltung der Plastik im Zeitablauf der Romanik,  so kann man feststellen, dass sich im Rahmen dieses Prozesses  die Steinmetze zu Bildhauern entwickelten. Es existiert eine romanische Bildsprache, die in Europa beinahe einzigartig ist und deren Phantasievorstellungen fast grenzenlos zu sein scheinen. Das Spektrum reicht von der Darstellung des Gottes als Richter in der Darstellung des Jüngsten Gerichts bis hin zu den dämonischen Wesen und Fratzen in den Figurenkapitellen z.B. in den Kreuzgängen. Ergänzt wird dies durch die Funktion des Ornaments. So werden in zahlreichen Beispielen die Grenzen zwischen konkreten Darstellungen und abstrakten Schmuckformen aufgehoben. Oft liegt den ornamentalen Motiven ein tieferer Sinne in, der sich dem modernen Betrachter nur zum Teil erschließt. So werden z.B. die Rosetten auf den Säulen in Moissac als Feuerräder der Hölle interpretiert. Dass diese faszinierende Bilderwelt sowohl die mittelalterlichen Gläubigen als auch die modernen Betrachter in ihren Bann zieht, ist nur all zugut nachvollziehbar.
Kreuzgang von Moissac Abtei Saint-Pierre
Kreuzgang der Abtei Saint-Pierre (Moissac) // Quelle: Wikipedia
Bemerkenswert ist auch, dass die romanische Skulptur an Portalen und Kapitellen befestigt war und somit Jahrhunderte überdauerte. Es handelt sich um eine Kunstform, die, da sie unverrückbar war, so jedermann zugänglich und somit nicht elitär einigen wenigen vorbehalten war.
Stellvertretend für die romanische Plastik auf unserem Weg ist das südliche Portal mit dem Tympanon in Moissac benennen, das zu einem der Höhepunkte der romanischen Bildhauerei zählt. Es veranschaulicht das vierte Kapitel aus der Offenbarung des Johannes mit dem Hauptthema des Jüngsten Gerichts. Ebenso zu erwähnen ist der dortige Kreuzgang, der auf Grund seiner Vollständigkeit und seiner zahlreichen Skulpturen ein einmaliges Zeugnis romanischer Baukunst ist. Besonders zu erwähnen  sind hier die vielen Figurenkapitelle, die etwa fünfzig Bibelstellen veranschaulichen.
Tympanon Moissac am südlichen Portal der Abtei Saint-Pierre
Tympanon am südlichen Portal der Abtei Saint-Pierre in Moissac // Quelle: Wikipedia
Ein weiteres wunderschönes erhaltenes Tympanon der Romanik findet sich in Conques. Das Tympanon des jüngsten Gerichts erhebt sich über dem Westportal und zählt auf Grund seiner Größe und Originalität ebenfalls zu den Meisterwerken der romanischen Bildhauerkunst.
Tympanon des Eingangsportals der Klosterkirche Ste-Foy in Conques // Quelle: Wikipedia
Neben den großen Meistern der Bildhauerkunst gab es auch eine große Schar an zweitklassigen Künstlern, deren Arbeiten aber für die Klöster aus wirtschaftlicher Sicht von großer Bedeutung waren. Jedes Kloster, das an einer der Pilgerrouten lag, besaß eigene Werkstätten. In diesen wurden Devotionalien und alle möglichen Arten von Souvenirs – Kruzifixe, Heiligenbilder, Heiligenfiguren etc. – hergestellt und dann an die Pilger verkauft – ein Phänomen, das wir ja auch heute (leider) noch in den bekannten Wallfahrtsorten zu Genüge wiederfinden.
Translate »