Die Unberührbaren

Cagots – von Frankreich und Spanien und die Funktion von Vorurteilen

Gesicht eines Cagots

In einem Kriminalroman aus der Baztan-Trilogie von Dolores Redondo wurde die Gruppe der Cagots mehrmals erwähnt. Mir sagte das zunächst nichts. Aber wie das ja häufig der Fall ist, wird man erst einmal auf etwas aufmerksam, dann findet man plötzlich mehr Informationen, über die man normalerweise hinweggegangen wäre. So stieß ich auf einer Seite von www.mein-frankreich.com auf einen Artikel über die Cagots und ich entschloss mich, hier darüber zu berichten. Auch wenn die Geschichte der Cagots vielleicht Vergangenheit ist, so ist es das Thema der Diskriminierung von Menschen sicher nicht.

Name und Verbreitungsgebiet

Als Cagots (baskisch Agotak) bezeichnete man eine Personengruppe, die vom 13. bis 19. Jahrhundert in Frankreich und Spanien diskriminiert wurde. Obwohl sie jahrhundertelang auf Beziehungen untereinander reduziert waren, bildeten sie keine geschlossene Gruppe, sondern sie lebten in kleinen Gruppen von mehreren Familien am Rande von Städten und Dörfern.

Cagots gab es in Frankreich von der Gascogne bis ins Baskenland, im Armagnac, im Bearn und in den Pyrenäentälern, in Spanien in Aragon, im Süden Navarras, im Baskenland und in Asturien. Im Bereich der Pyrenäen war die Bezeichnung Cagot oder Cahet üblich, aber es sonst auch andere Bezeichnungen wie Agots, Capins, Kognards (wegen der Entenfüße, die sie z.T. tragen mussten) oder Chretien oder Chretias.

Über Ihre Herkunft gibt es keine gesicherten Aussagen. Die einen vermuten, dass die Cagots von den arianischen Westgoten abstammen, andere halten sie für Nachfahren der Sarazenen und vor allem im Baskenland für eingewanderte Romas.

Abgrenzungsgründe

Worauf die Abgrenzung beruht, ist auf Grund der Literaturlage nicht klar nachvollziehbar. Einige gehen davon aus, dass der Grund für die Ausgrenzung das Aussehen der Cagots sei.

So werden runde Ohren ohne Ohrläppchen, eine weiße Gesichtsfarbe und Schwellungen an Kopf und Extremitäten als Kennzeichen genannt. Manche beschreiben sie als klein, dunkel und gedungen, andere als kräftig, blond und mit blauen Augen. Es ist keine homogene oder besondere ethnische Herkunft klar erkennbar. Trotzdem wurden sie als Aussätzige behandelt und das über sechs Jahrhunderte! Durch die Art des Umgangs mit den Cagots vermutet manche auch, dass es sich ursprünglich um Leprakranke gehandelt haben könnte. Die Cagots mussten zum Teil ein markantes Zeichen tragen, nämlich Krähen- oder Entenfüße aus rotem Stoff auf der Kleidung. Die Krähenfüße sehen ähnlich wie ein Feigenblatt aus. Das Feigenblatt war im neuen Testament ein Stigmatisierungszeichen für Leprakranke und gleichzeitig ein Hinweis auf ein Heilmittel gegen Lepra. Sie waren die Unberührbaren.

Diskriminierungen

Trotz dieser Unklarheiten über die genauen Ursachen der Diskriminierung kann die vielfältige Ausgrenzung über Jahrhunderte nachgewiesen werden.

  • Sie mussten in eigenen Stadtvierteln leben. Sie hatten eigene Brunnen und eigene Waschhäuser. Es war ihnen nicht erlaubt, die der „Normalen Bewohner“ zu benutzen. Sie durften nichts anfassen, was auch „Nicht Cagots“ anfassten. Tiere durften nur für den Eigenbedarf gehalten werden und keinesfalls verkauft werden.
  • In den Kirchen hatten sie einen eigenen niedrigen Seiteneingang. Die Kommunion wurde ihnen nur mit einem langen Löffel gereicht. Sie mussten einen eigenen Friedhof benutzen. Auf der Taufurkunde stand nur der Vorname und dann Cagot.
  • Sie durften nicht mit „Nicht Cagots“ zusammen essen. Außerdem war es ihnen verboten, „Nicht Cagots“ zu heiraten. So suchten sie sich ihre Partner in anderen Familien außerhalb ihrer eigenen Wohngemeinschaften um Inzucht zu vermeiden, was wohl nicht immer gelang.
  • Außerdem bestand ein Verbot für die Ausübung der meisten Berufe. Da man glaubte, dass Holz und Eisen keine Leprakrankheiten übertrugen, waren die Berufe, die sie ausüben konnten, vor allem Tischler, Schreiner, Holzfäller, Totengräber und Schmiede aber auch Korbmacher und Schneider. Da sie Experten für Holzbau waren, sind nachweislich viele Kirchen in den Pyrenäen von ihnen mitgestaltet worden. Sie werden als freundliche und fleißige Handwerker beschrieben.

Integration

Es war die Französische Revolution, die es ihnen ermöglichte, in Frankreich endgültig Vollbürger zu werden. De facto wurden die Cagots jedoch vielerorts noch lange danach diskriminiert; besonders aus der Bretagne wanderten viele von ihnen nach Amerika aus, um dort ein neues Leben zu beginnen. 

In Spanien dauerte es bis 1819, bis das Parlament die Marginalisierung von Cagots ausdrücklich untersagte. Und wie sieht es heute aus?

Hilke schreibt in ihrem Blog www.mein-frankreich.com dazu:

Ich verzichte bewusst auf die Darstellung der diskriminierten Menschen. Inzwischen habe ich einige von ihnen persönlich kennengelernt. Einstimmig berichteten sie, dass die cagots bis heute nicht vollständig in der Gesellschaft akzeptiert und integriert sind.

Und ein englischer Reporter, der eine Frau, die von den Cagots abstammt, interviewte, wollte sie und ihre Kinder fotografieren. Sie hat das für sich, akzeptiert, aber ihre Kinder wollte sie nicht fotografieren lassen. Hier ihre Begründung:

“I’m sorry but no. It is OK for me to admit where I come from. But if people knew about my children’s background, it might be difficult for them.”

She gazes out of the window, at the distant green Pyrenees. “In some places, the hatred lingers. Even now. The Cagots may be silent but I can still hear it.”

Aber es gibt auch eine Erinnerungskultur. So befindet sich das Musée des Cagots in dem Städtchen Arreau in den Hautes Pyrenées. Allerdings versteckt sich das musée des cagots im Château d’Arreau im ersten Stock und besteht aus einem einzigen Saal. Außerdem weisen gelegentliche Straßenschilder auf ihre frühere Anwesenheit hin. Ab und zu findet man auch an den Kirchen noch die kleinen Seiteneingänge für die damaligen Cagots. Manche dieser Eingänge sind inzwischen auch zugemauert.

Die Cagots und ihr Name mögen verschwunden sein, aber ihre Geschichte sollte nicht aus Scham verdrängt werden. Denn die Erinnerung an ihre Geschichte birgt auch die Chance, das Thema Marginalisierung und Diskriminierung und die Problematik von Vorurteilen zu thematisieren. Denn Vorurteile sind zu jeder Zeit – also auch heute – ein wichtiges gesellschaftliches Thema, mit dem man sich auseinandersetzen sollte. Daher sind unten einige grundsätzlichen Erkenntnisse zu Vorurteilen zusammengestellt.

Wie funktionieren eigentlich Vorurteile?

Von klein auf lernen wir Menschen in Schubladen zu stecken. Diese Einteilungen helfen uns, die Welt zu ordnen und den Überblick zu behalten. Aber die Kategorisierung hat noch einen anderen Zweck. Sie teilt die Menschen in „wir“ und „die“ ein. Die Mitglieder der Eigengruppe werden geschätzt, die der Fremdgruppe meist distanziert betrachtet. Dann werden diese Schubladen, in die man die Menschen gesteckt hat, etikettiert, d.h. sie werden mit einer positiven oder negativen Bewertung belegt. So wird aus einem zunächst (meist) nur falschem Stereotyp ein Vorurteil. Vorurteile sind somit verallgemeinernde, voreilige, fehlerhafte, pauschalierende Urteile über Menschen.

Durch eine kritische Wahrnehmung und eine offene Einstellung lassen sich Vorurteile auch wieder abbauen. Aber leider haben Vorurteile die Tendenz sich zu verfestigen. Durch eine Zustimmung meiner Bewertung in meiner Eigengruppe kommt es zu einer ersten Verfestigung. Zudem stärkt das gemeinsame Vorurteil das interne Gemeinschaftsgefühl und die bewusste Abgrenzung nach außen. Man fühlt sich anderen gegenüber überlegen. Also warum sollte man an seiner Bewertung zweifeln! Zudem bemerkt man die negativen Zuschreibungen deutlicher und man schenkt ihnen mehr Aufmerksamkeit als jenen Vorkommnissen, die z.T. sogar häufiger und eigentlich positiv zu bewerten wären. Man stuft diese einfach als Ausnahmen ein und kann so sein Vorurteil behalten. Auf Grund dieser Prozesse besteht natürlich keine Notwendigkeit, das Vorurteil in Frage zu stellen. Somit kann es sich weiter verfestigen und es dann sehr schwer, solche Vorurteile aufzubrechen.