Wandert man durch Frankreich, so stößt man immer wieder auf Zeugen des 100- jährigen Krieges. Es lohnt daher, sich kurz einmal mit diesem Krieg (1337-1453) und seiner Vorgeschichte auseinanderzusetzen. Dabei wird hier weniger auf die einzelnen Kriege und Konflikte eingegangen, sondern bemerkenswert sind vor allem jene Aspekte, die damals tragende Elemente der Auseinandersetzungen waren. Und wenn man es genau betrachtet, so sind es immer noch dieselben Elemente, die auch heute noch viele z.T. auch kriegerische Auseinandersetzungen bestimmen.
Zu nennen sind hier u.a.:
Die Vorgeschichte des Krieges, die für das Verständnis der Auseinandersetzungen von großer Bedeutung ist, reicht bis ins 12. und 13. Jh. zurück. Die Plantagenets, also das englische Herrschergeschlecht, haben schon unter Heinrich I (1154-1189) große Teile Frankreichs durch Erbschaft, Heirat und Zukäufe unter ihre Herrschaft gebracht. So waren sie einerseits die Könige von England und somit dem französischen König gleichgestellt und andererseits verfügten sie in Frankreich als Grafen und Herzöge nur über die Rechtstitel, die mit ihren französischen Besitzungen verbunden waren. Sie waren also dem französischen König lehensrechtlich für diese Besitzungen untergeordnet. Zu diesen gehörten zum Zeitpunkt der größten Ausdehnung (um 1173) die Herzogtümer Normandie, Aquitanien, Gascogne und Bretagne sowie die Grafschaften Anjou, Maine und Torraine (vgl. die Karte). Das bedeutete, dass der englische König zu dieser Zeit der größte Großgrundbesitzer Frankreichs war. Der französische König Philipp II. versuchte deshalb seinerseits, seine Besitzungen vor allem nach Norden auszudehnen, hier vorwiegend in das Gebiet der Herzöge von Flandern.
Und jetzt kommen bereits wesentliche wirtschaftliche Faktoren ins Spiel. Durch diese Ausdehnung nach Norden waren zentrale Wirtschaftsinteressen Englands gefährdet. Denn die flämische Tuchindustrie war der wichtigste Absatzmarkt für die englische Wolle. England reagierte, indem es die rechtliche Hoheit über den Ärmelkanal beanspruchte. So wollte es die zentralen Handelsbeziehungen absichern.
Im Laufe des 13. Jh. kam es dann zu verschiedenen Auseinandersetzungen zwischen dem Franzosen und Engländern, in deren Verlauf Frankreich die Normandie, Torraine und Anjou sowie die Bretagne und Teile Aquitaniens zurückeroberte und im Vertag von Paris 1259 absicherte. Die französischen Könige verdrängten den englischen Einfluss aus Frankreich. Nur die Gascogne und Teile Aquitaniens verblieben den Engländern und wurden zur Grafschaft Guyenne zusammengefasst. Bis Anfang des 14. Jh. kam es zu einer gewissen Beruhigung, allerdings bestanden die grundsätzlichen Gegensätze auch weiterhin und flammten Anfang des 14. Jh. erneut auf. Sie führten dann zu den zahlreichen Auseinandersetzungen des sogenannten 100-jährigen Krieges, der allerdings nicht als ein kontinuierlicher Prozess zu verstehen ist, sondern es gibt sehr unterschiedliche Phasen des Konflikts, die unter diesem Oberbegriff zusammengefasst wurden. Auch die zeitliche Eingrenzung auf die Zeit von 1337 – 1457 wird von einigen Historikern als etwas willkürlich angesehen.
Ein wesentlicher Aspekt dieser Phase ist der Thronfolgestreit, nachdem mit Charles IV. der letzte Kapetinger stirbt. Philipp von Valois, ein Cousin Charles aus der nächsten Verwandtschaftslinie der Kapetinger, lässt sich als Philipp VI. zum französischen König krönen. Zwar wurde dies zunächst vom englischen Königshaus akzeptiert, aber nachdem sich Philipp in die Auseinandersetzungen zwischen England und Schottland einmischte, erhob Edward III. von England Ansprüche auf den französischen Thron, die er über seine Mutter (eine Tochter Philipp III.) ableitete. Juristisch stand dieser Anspruch auf wackeligen Beinen, da die Thronfolge über weibliche Nachkommen eigentlich ausgeschlossen war. Trotzdem waren damit die politischen Bedingungen für den nun beginnenden Krieg umrissen. Der französische König ging nach seinem Verständnis gegen einen sich unrechtmäßig erhebenden Vasallen vor, während der englische König seinen vermeintlich legitimen Anspruch auf den französischen Thron durchsetzen wollte. Beide Auffassungen standen sich im nun folgenden Hundertjährigen Krieg unversöhnlich gegenüber und führten dazu, dass es dann nicht mehr nur um eine feudale Auseinandersetzung zwischen zwei Herrschern ging, sondern fundamentaler um den Kampf zweier Länder und Völker um die Existenz eines eigenständigen französischen Staates. Der Historiker Kenneth Fowler betont dabei, dass die Geschichte des 100jährigen Krieges als eine anglo-französische und nicht englisch-französische Auseinandersetzung verstanden werden sollte, da es ein „England“ oder „Frankreich“ vor 1337 nicht gab, sondern die beiden vorstaatlichen Gebilde eng miteinander verflochten waren. Die Ereignisse dieses Krieges führten dann allerdings zur Entwicklung von zwei eigenständigen Nationalstaaten.
Die folgende Darstellung des Krieges will chronologisch, aber nur stichwortartig einige wichtige Ereignisse und ihre Bedeutung herausarbeiten. Auf einige besondere Aspekte wird dann etwas ausführlicher eingegangen. Dabei handelt es sich zum einen um die Bedeutung einzelner Schlachten für die Entwicklung der modernen Heere, zum anderen um eine kurze Darstellung der Bedeutung Jeanne d`Arcs für diesen Krieg sowie um die Folgen dieses Krieges für die beiden Länder.
Crecy und Azincourt sind für die Engländer und sicher auch für die Länder in Europa ganz besondere Ereignisse. „Es ist der Sieg der Schwachen über die Starken, des gemeinen Mannes über die Ritter hoch zu Ross, des Verzweifelten, in die Eck Gedrängten und fern der Heimat Kämpfenden über den Vermögenden und Dünkelhaften“ schrieb der britische Historiker John Keegan. Denn der Sieg der Engländer mit ihren Fußsoldaten über die französischen adeligen Ritter stellt eine Epochenwende dar.
Das englische Heer bestand aus ca. 2000 Rittern und 8000 Fußsoldaten, zumeist Bogenschützen. Und gerade diese Bogenschützen waren es, die den Sieg herbeiführten. Der Bogen, den sie benutzten, war nicht nur eine Waffe, sondern auch ein soziales Zeichen, denn der Bogen wies den Träger als freien Mann aus, der in einem Heer Dienst tat und dafür bezahlt wurde. Im Gegensatz dazu waren bei den Franzosen neben den Rittern ihre unfreiwillig Hörigen beteiligt.
Der Bogen war deshalb so gefährlich, weil erfahrene Schützen ( und man musste den Umgang mit der Waffe intensiv trainieren) mit den bis zu zwei Meter langen Bögen aus Eibenholz zehn Schuss pro Minute abschießen konnten bei einer Reichweite von ca. 250 Metern, während mit einer Armbrust in der selben Zeit maximal zwei Schuss mit geringerer Reichweite abgefeuert werden konnten. Die Eibenrohlinge stammten aus England und vor allem aus Süddeutschland und Norditalien. Durch den intensiven Handel, der sich wegen der großen Nachfrage entwickelte, wurde die Eibe rücksichtslos abgeholzt. Heute findet man sie in der freien Natur nur noch in einigen speziellen Verbreitungsgebieten in Europa. Sie steht deshalb bei uns nach dem Bundesartenschutzgesetz unter besonderem Schutz.
Der Einsatz der englischen Langbogenschützen im Verbund mit abgesessenen Rittern und der Nutzung von Pfählen als Deckung haben die Schlacht von Azincourt mitentschieden. Das französische Heer unterlag, da es auf die veraltete Taktik mit dem Schwergewicht auf den Rittern setzte.
Ab dieser Zeit sollte die Zukunft den großen Heeren leichtbewaffneten Fußsoldaten und Söldnern gehören und nicht mehr adeligen Rittern, die oft im Heer als Einzelkämpfer aufgetreten waren. Diese neuen Armeen konnten aber wiederum nur von Herrschern mit den nötigen finanziellen Ressourcen aufgestellt werden, was natürlich nicht selten ein großes Problem darstellte.
Man stellt sich natürlich die Frage, wie es einem einfachen Bauernmädchen erlaubt wurde, ein Heer gegen die Engländer zu führen. Hierzu in Kürze die Geschichte von Jeanne d`Arc.
Sie erblickte um 1412 in Domrémy, einem kleinen Dorf an der Maas (Lothringen) als Tochter von Jacques Darc und Isabelle Rommêe das Licht der Welt. Ihre Eltern zählten zur sogenannten Schicht der Laboreurs, einer Art Oberschicht innerhalb der ländlichen Bevölkerung. Sie wurde somit in eine für das Dorf Domrémy wohlhabende Familie hineingeboren. Allerdings wurde die Schreibweise mit d`Arc erst seit dem 16. Jh. gewählt, um eine gewisse Wertigkeit der Familie hervorzuheben.
Nach Gerichtsprotokollen hatte Jeanne d`Arc mit 13 Jahren ihre ersten Visionen. Sie hörte angeblich die Stimme der hl. Katharina sowie des Erzengels Michael und der hl. Margareta. Die Erscheinungen wiederholten sich und gaben ihr den Befehl, Frankreich von den Engländern zu befreien und den Dauphin zum König krönen zu lassen. Ende Dezember 1428 verließ Jeanne ihr Elternhaus, um ihre Visionen zu realisieren. Am 1. Januar 1429 im Alter von fast 17 Jahren machte sich Jeanne auf den Weg zum Stadtkommandanten der Festung Vaucouleurs, Robert d`Baudricaurt. Sie musste allerdings feststellen, dass sich die Aufgabe, die ihr die Stimmen aufgetragen hatten, als schwieriger gestaltete als gedacht. Sie wurde zweimal abgewiesen und der Stadthauptmann empfahl dringend, dass ihr Vater ihr besser ein paar Ohrfeigen geben sollte.
Beim dritten Versuch bekam sie dann doch eine Audienz, in der sie den Kommandanten doch von ihrem Glauben und ihren Visionen überzeugen konnte. Er gab ihr eine Eskorte mit, die sie zu Karl VII. nach Chinon begleiten sollte. Nach elf Tagen durch Feindesland kam sie am 5. März 1429 dort an. Dank des Empfehlungsschreibens Baudricourts wurde sie vom Dauphin empfangen. Niemand weiß genau, wie Jeanne es schaffte, den Dauphin davon zu überzeugen, dass sie gekommen sei, um Frankreich von den Engländern zu befreien und ihn in Reims zum König krönen zu lassen. Sie hatten sich allein in ein Zimmer zurückgezogen und angeblich hat sie ihn an einer ihrer Visionen teilhaben lassen.
Dies allein reichte aber natürlich noch nicht aus. So wurde sie in Poitiers drei Wochen lang von Geistlichen und hochgestellten Personen auf ihre Glaubwürdigkeit geprüft. Zudem wurde sie von Hofdamen auf ihre Jungfräulichkeit untersucht. Die Keuschheit einer Frau ging zu dieser Zeit Hand in Hand mit ihrer Glaubwürdigkeit. Nachdem sie beide Prüfungen erfolgreich bestanden hatte, beschloss der Kronrat ihr eine kleine militärische Einheit zur Verfügung zu stellen. Ihr Auftrag bestand darin, einen Proviantzug in die von Engländern eingeschlossene und belagerte Stadt Orléans durchzubringen. Am 29. April 1429 gelang ihr dies. Durch diesen Erfolg ermutigt wagten die Truppen von Orléans den Ausbruch. Jeanne d`Arc ritt voraus, wurde von einem Pfeil getroffen, blieb aber auf dem Feld und machte so ihren Mitkämpfern weiter Mut. Einen Tag später zogen die Engländer ab. Bis Juni 1429 gelang es unter Mitwirkung Jeannes die Engländer aus den Burgen südlich der Loire zu vertreiben. Von der Rückeroberung Orléans rührt dann auch der Name Johanna von Orléans her.
Am 17. Juli 1429 wurde der Dauphin, wie von Jeanne prophezeit, in der Kathedrale von
Reims als Karl VII zum König gekrönt. Jeanne nahm am Altar stehend an der Krönungszeremonie teil. Das war ein Akt von entscheidender politischer Bedeutung: Die Franzosen im besetzten Norden konnten nicht länger ignorieren, dass sie wieder einen nationalen König hatten. Zudem war der Mythos der Jungfrau von Orléans geboren, Frankreich hatte seine Nationalheilige. Ihr Glaube an den göttlichen Auftrag, die Engländer aus dem Land hinauszuwerfen, wirkte auf die ganze Nation. Die Befreiung des Landes war nicht mehr nur eine Angelegenheit rivalisierender Adliger, sondern die Aufgabe eines ganzen Volkes, das im Bann einer Gottgesandten zusammenrückte und wieder neuen Mut schöpfte.
Ihr Ruhm war auf dem Höhepunkt. Aber wie immer, wenn jemand so schnell erfolgreich wird, gab es auch zahlreiche Neider. Vor allem die Ratgeber des Königs fürchteten um ihre Macht und ihren Einfluss. Jeanne wollte die Engländer gänzlich vom Festland vertreiben. So bat sie darum, zunächst Paris befreien zu dürfen. Dies wurde ihr erst nach mehrmaliger Ablehnung erlaubt. Aber die Befreiung von Paris misslang und der König von verschiedenen Interessengruppen beeinflusst wandte sich von ihr ab. Er wollte vor allem Frieden mit den Engländern schließen.
Im Mai 1430 wird Jeanne d‘Arc in Compiegne an die mit England verbündeten Burgunder verraten, von diesen dann an die Engländer ausgeliefert und am 30. Mai 1431 wegen Ketzerei verbrannt, auf Grund eines auch zur damaligen Zeit schon sehr umstrittenen Urteils im Namen der Inquisition, das später auch von der katholischen Kirche revidiert wurde. Ihre Asche wurde im Fluss zerstreut, damit es keinen Ort der Verehrung geben sollte. Obwohl ihre Wirkungszeit nur kurz war, überdauerte ihr Ruhm die Zeiten und Jeanne d`Arc wird noch heute als französische Nationalheldin und Heilige verehrt.
Dennoch gaben die englischen Könige ihren Anspruch auf die französische Krone, die sie stets im Titel führten, erst Anfang des 19. Jh. auf.
Für Frankreich bedeutete es zum einen die Befreiung von ausländischen Mächten (mit Ausnahme von Calais). Somit waren die Grundlagen für ein ungeteiltes einheitliches Königreich und den zukünftigen Nationalstaat gelegt. Auch entwickelte sich im Bewusstsein der Bevölkerung ein französisches Nationalbewusstsein.
Zudem wirkt anscheinend der Mythus Jeanne d´Arc bis in die heutige Zeit nach. So wird zumindest behauptet, dass viele französische Bürger in Zeiten der Krise immer wieder Hoffnungen auf einen nationalen Erlöser setzen. Beispiele sind vielleicht Philippe Petain vor Verdun oder Charles de Gaulle 1944 oder möglicherweise zu Beginn seiner Präsidentschaft in Ansätzen auch Emmanuelle Macron.
Für England bedeutete es ebenfalls eine Stärkung des englischen Nationalbewusstseins. Es entstand eine eigene politische Identität, in der Krone und Nation symbolisch eine Einheit bildeten. Die Neigung, sich zum Kontinent hin zu orientierten, ging verloren. Das zeigt sich u.a. auch darin, dass sich die englische Oberschicht endgültig von der französischen Sprache verabschiedete.
Letztendlich entstanden zwei separate Staatswesen. Gleichzeitig ist der hundertjährige Krieg aber auch die Grundlage für die englisch-französische Erbfeindschaft der folgenden Jahrhunderte. Selbst Zitate aus dem 20. Jh. belegen noch diese Ressentiments. So spricht Georges Clemenceau 1904 davon, dass England eine französische Kolonie sei, die auf die falsche Bahn geraten sei. Und Charles de Gaulle begründete seine Ablehnung des britischen Beitrittsgesuchs zur Europäischen Gemeinschaft 1963 damit, dass England ein Inselstaat sei, ausgerichtet auf die See. Auch die typischen Sticheleien sind noch existent zwischen den „Rosbifs“, den Roastbeef–Freunden, und den „Froggies“, den Froschschenkelessern.
Bei den Engländern entstand außerdem später das Bewusstsein einer großen Kolonialmacht, das sich dann nach der Kolonialzeit im Commonwealth weiter manifestierte. So lässt sich vielleicht auch die Skepsis der Engländer gegenüber der EU erklären, ist man hier doch nur ein Staat unter vielen und nicht mehr herausgehoben. Vielleicht ist auch der Brexit ein Zeichen für den verzweifelten Versuch, wieder eine Großmacht zu sein.