Eine Rose ist nicht nur eine Rose

Geschichten auf dem Via de la Plata

In die Zeit unserer Wanderung fiel auch mein Geburtstag. In einem kleinen Laden deckten wir uns mit einigen Köstlichkeiten ein (u.a. Scrimps, Käse, Oliven etc.), um unterwegs ein kleines Geburtstagsmahl zu zelebrieren. Ein schattiger Platz am Waldrand, ein altes Holzbrett als Sitzunterlage, ein kleines Brett als Tisch – das schienen uns doch die idealen räumlichen Voraussetzungen für unser „opulentes“ Mittagsessen!  Als dann auch noch eine liebe SMS meines Mannes kam, war der Tag schon perfekt. Er zitierte darin u.a. Teile eines Gedichtes von Heinrich Heine „Wenn Du eine Rose schaust, sag, ich lass sie grüßen“!

Aber es kam noch besser. Nachdem wir wieder eine Zeit lang gewandert waren, kamen wir an einen kleinen Ort. Und im Garten des ersten Hauses nahe am Zaun stand — eine einzelne rote Rose. Marie Louise und ich schauten uns an und strahlten!

Natürlich rationell gesehen war es einfach Zufall, dass zu dieser Zeit im Oktober in einem Garten eine einzelne rote Rose blühte und dass wir gerade an dieser Rose vorbei gingen. Aber emotional hat uns der Anblick im Herzen getroffen. Wir waren berührt und gerührt, haben die Rose gegrüßt und dachten liebevoll an unsere daheim gebliebenen Männer! Eine Rose ist eben doch nicht einfach eine Rose!

Wen es interessiert, hier das vorständige Gedicht von Heinrich Heine – Leise zieht durch mein Gemüt (1830):

Leise zieht durch mein Gemüt
Liebliches Geläute.
Klinge, kleines Frühlingslied,
Kling hinaus ins Weite.

Kling hinaus, bis an das Haus,
Wo die Blumen sprießen,
Wenn du eine Rose schaust,
Sag, ich lass sie grüßen.

 

 

Der/die eine oder andere wird sich sicher auch an die Rosengedichte von Rainer Maria Rilke erinnern.

Rainer Maria Rilke, Les Roses/Die Rosen – Les Fenetres/Die Fenster,  Gedichte , Ars vivendi, Cadolzburg 2001

Oder an die schöne Geschichte vom kleinen Prinzen und seiner Rose!

Hier das Kapitel aus Antoine de Saint-Exupery , Der kleine Prinz:

Bald schon lernte ich diese Blume kennen. Es hatte schon immer auf dem Planeten des kleinen Prinzen Blumen gegeben, sehr einfache Blumen mit nur einem Kranz von Blütenblättern. Sie brauchten kaum Platz und störten niemanden. Sie erschienen eines Morgens im Gras und verschwanden am Abend wieder. Aber diese eine hatte eines Tages Wurzeln geschlagen aus einem Samen, der wer weiß woher gekommen war, und der kleine Prinz hatte diesen kleinen Sprössling, der ganz anders war als die anderen Sprösslinge, sehr genau beobachtet. Es konnte eine neue Art vom Affenbrotbaum sein. Aber bald schon hörte der Strauch zu wachsen auf und er begann, eine Blüte hervorzubringen. Der kleine Prinz spürte, während er die Entwicklung einer riesigen Knospe beobachtete, dass eine wunderbare Erscheinung aus ihr hervorgehen müsse. Aber die Blume wollte einfach nicht damit aufhören, sich vorzubereiten. Ihre Schönheit reifte geschützt in ihrer grünen Hülle. Sie wählte ihre Farben mit Bedacht. Sie kleidete sich langsam an, sie ordnete ihre Blütenblätter eins nach dem anderen. Sie wollte nicht so zerknittert aufgehen wie die Mondblumen. Sie wollte nur im vollen Glanz ihrer Schönheit erscheinen. Hey! Sie wollte hübsch sein! Ihre geheimnisvolle Toilette dauerte tagelang. Und eines Morgens, gerade bei Sonnenaufgang, enthüllte sie sich.

Und sie, die mit größter Präzision gearbeitet hatte, gähnte und sagte:

  • »Ah! Ich bin gerade aufgewacht … Es tut mir leid … Ich bin noch ziemlich zerzaust …«

Der kleine Prinz konnte seine Bewunderung gar nicht mehr zurückhalten:

  • »Wie schön du bist!«
  • »Nicht wahr«, erwiderte die Blume leise. »Und ich bin zur gleichen Zeit geboren wie die Sonne …«

Der kleine Prinz merkte sofort, dass sie nicht besonders bescheiden war, aber sie war so faszinierend!

  • »Ich glaube, es ist Zeit für das Frühstück«, nahm sie das Gespräch wieder auf, »hätten Sie die Güte, an mich zu denken …«

Da errötete der kleine Prinz, holte frisches Wasser und goss die Blume.

So quälte sie ihn recht bald mit ihrer etwas zerbrechlichen Eitelkeit. Eines Tages zum Beispiel sprach sie von ihren vier Dornen und sagte zum kleinen Prinzen:

  • »Sie können ruhig kommen, die Tiger, mit ihren Krallen!«
  • »Es gibt keine Tiger auf meinem Planeten«, entgegnete der kleine Prinz, »denn Tiger fressen kein Gras.«
  • »Ich bin kein Gras«, erwiderte hierauf die Blume in süßem Ton.
  • »Verzeihen Sie mir …«
  • »Vor Tigern habe ich keine Angst, aber mir graut es vor der Zugluft. Besitzen Sie denn keinen Wandschirm?«

»Angst vor Zugluft? … Das ist nicht besonders glücklich für eine Pflanze«, dachte der kleine Prinz. »Diese Blume ist sehr anspruchsvoll…«

  • »In der Nacht müssen sie mich schützen. Es ist sehr kalt bei Ihnen zu Hause. Es ist nicht richtig eingestellt. Da, wo ich herkomme …«

Da unterbrach sie sich. Sie erschien in Form eines Samenkorns. Sie hatte nichts von anderen Welten wissen können. Gedemütigt, dass sie bei einer so einfachen Lüge ertappt worden war, hustete sie zwei oder drei Mal, um den kleinen Prinzen ins Unrecht zu setzen:

  • »Der Wandschirm …?«
  • »Ich wollte ihn gerade herholen, aber sie sprachen noch mit mir!«

Dann zwang sie sich erneut zu einem Husten und wollte ihm damit Gewissenbisse einreden.

Trotz seiner aufrichtigen Liebe begann der kleine Prinz bald damit, an ihr zu zweifeln. Er hatte ihre belanglosen Worte ernst genommen und war sehr unglücklich darüber geworden. »Ich hätte nicht auf sie hören sollen«, erzählte er mir eines Tages. »Man sollte den Blumen nie zuhören. Wir müssen sie betrachten und ihren Duft einatmen. Meine Blume erfüllte meinen ganzen Planeten mit ihrem Duft, aber ich wurde nicht glücklich darüber. Diese Geschichte von den Krallen, die mich so sehr reizte, hätte mich mehr berühren sollen …«

Er sagte zu mir: »Ich war damals nicht in der Lage, das zu begreifen! Ich hätte sie nach ihren Taten und nicht nach ihren Worten beurteilen sollen. Sie duftete und erglühte für mich. Ich hätte niemals fortgehen dürfen! Ich hätte hinter ihren armen kleinen Tricks ihre Zuneigung erraten sollen. Blumen sind voller Widersprüche! Aber ich war zu jung, um zu wissen, dass ich sie liebe.«

8. Kapitel: Der kleine Prinz und seine Blume

Es geht hier wohl um die erste Liebe zwischen einem jungen Mädchen – der Rose – und einem jungen Mann – dem kleinen Prinz -, die  beide noch zu wenig von der Liebe verstehen, um zumindest zunächst zu einander zu finden.

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